Prolog
Sommer 2009
Der Abendwind strich mir durchs Haar, während mein Blick zu den Häusern auf der anderen Straßenseite schweifte. Ich schob eine widerspenstige Strähne hinters Ohr, die immer wieder hervorkommen wollte – bis ich es aufgab. Sie einfach vor meinem Gesicht durch die Luft tanzen ließ.
Musik hallte aus einer der Bars, Menschen lachten, bunte Lampions erhellten die Umgebung. Ein untrügliches Zeichen, dass es Sommer war. Viele Urlauber waren an die See gekommen, vergnügten sich hier im Löwensteg, nahe des bekannten Touristenmagneten Vorderreihe, wo das Leben um diese Jahreszeit tobte. Normalerweise hätte ich mich unter sie gemischt, die Ferien genossen, bis in die Morgenstunden getanzt. Aber dieses Jahr war alles anders, denn es würde mein letzter Sommer in Lübeck-Travemünde sein.
Ich atmete tief ein und lehnte mich über die Brüstung der kleinen Dachloggia von Omas Trödelladen.
In der Ferne färbte sich der wolkenlose Himmel von einem dunklen Rot in ein tiefes Lila. Die ersten Sterne gingen auf, funkelten am Firmament. Es sah wunderschön aus.
Ich liebte diesen Ausblick, die Trave, die in die Ostsee mündete, vor der Tür, genauso wie ich das alte Backsteinhaus und den urigen Laden in der unteren Etage mit all seinem altmodischen Klimbim liebte.
Im Löwensteg waren meine Schwester Emilie und ich groß geworden. Emili-e, wie sie stets betonte, nicht ausgesprochen wie die englische Variante Emily. Unsere Oma hatte uns aufgezogen, war uns Mutter und Vater gewesen. Es gab keinen anderen Ort, den ich Zuhause nennen würde, als diesen. Aber nun war die Zeit gekommen, flügge zu werden, das Nest zu verlassen. Und obwohl ich mich darauf freute, war ich auch schwermütig.
»Komm her, Stella!«, rief jemand hinter mir.
Ich drehte mich von der Brüstung weg, schob noch einmal mit beiden Händen meine Haare hinter die Ohren und schaute zu dem Tisch in der Mitte der Loggia, an dem meine beiden besten Freundinnen und meine Schwester saßen und mich zu sich winkten. Ein Haufen verrückter Hühner. Sie bedeuteten mir alles.
Wir waren auf dieselbe Grund- und später Oberschule gegangen, hatten, bis auf Emilie, nun gemeinsam unser Abi gemacht. Ein eingeschweißtes Team, auf das man zählen konnte. Ich erinnerte mich noch, wie sie mir die Hand gehalten und mir unzählige Taschentücher gereicht hatten, als mein erster Freund nach zwei Wochen Ostsee-Urlaub nach Hause gefahren war und dies unwiederbringlich das Aus dieser ersten Liebe bedeutet hatte. Auf ihr Konto ging ebenso, dass sie mich zu meinem achtzehnten Geburtstag in ein Casino geschleppt hatten, wo jede von uns bis zum Ende des Abends zwanzig Euro verloren und sich danach geschworen hatte, so einen Murks nicht noch mal zu machen.
Und als ich die Führerscheinprüfung, immerhin schon nach dem zweiten Anl