Erstes Kapitel
Dumpf schlug das Wasser gegen das Holz des Schiffsrumpfs. In einem Moment warf sich das Schiff in das Wellental hinab, dann erklomm es den nächsten Wellenkamm und ächzte dabei wie ein lebendiges Wesen. Am Vortag hatte der Wind gedreht, gegen Morgen war er heftiger geworden. Am Bugspriet stehend hielt Anna Weinbrenner sich mit aller Kraft fest. Gischt spritzte ihr ins Gesicht, während sie hinab in die blaue, schaumgekrönte Tiefe starrte.
Ich darf nicht loslassen, schoss es ihr durch den Kopf, ich darf nicht loslassen.
Bitterer Speichel drang ihre Kehle hinauf. Nicht zum ersten Mal auf dieser Reise war ihr zum Speien übel. Im nächsten Wellental wurde Anna mit Wucht gegen die Reling geschleudert. Schmerzhaft drückte sich das Holz gegen ihren Brustkorb und raubte ihr den Atem. Der Aufschrei blieb ihr in der Kehle stecken.
O nein, ich hätte niemals hier hinausgehen dürfen, nicht bei diesem Wetter.
Sie kannte die Anweisungen: Wenn ein Sturm drohte, hatten die Passagiere unter Deck zu bleiben!
Anna biss die Zähne aufeinander. Aber sie hatte den Gestank in den Quartieren des Zwischendecks, jenen wabernden Dunst nach Schweiß, ungewaschenen Körpern, verdorbenen Nahrungsmitteln, Erbrochenem und Kot, der sich bei schweren Wettern noch verstärkte, einfach nicht mehr ausgehalten. Und draußen im aufkommenden Sturm, der einem nach Tagen der Flaute eher willkommen war, hatte sie dann die Schönheit des Augenblicks gebannt: die tanzenden, schimmernden Wellen, die sich noch nicht allzu hoch getürmt hatten, wie mit Abertausenden von Schaumsternen gekrönt.
Anna schüttelte sich. Längst war sie vollkommen durchnässt. Wieder musste sie den Würgereiz bezwingen. Niemals hatte sie sich vorstellen können, dass das Wetter so schnell umschlagen würde. Sie war doch eben erst an Deck gekommen, entschlossen, frischen Atem zu schnappen und der Enge des Schiffsbauchs zumindest kurz zu entkommen. Nun hatte sie den rechten Augenblick versäumt, um aus eigener Kraft zurückzugelangen.
Wieder stürzte das Schiff in ein Wellental, wieder erklomm es den nächsten Kamm und fiel mit umso größerer Macht hinab. Wenn nicht bald jemand kam und ihr half, dann konnte ihr nur noch Gott helfen.
Anna starrte ihre Hände an, die Fingerknöchel zeichneten sich weiß ab, so sehr klammerte sie sich an ihrem Halt fest. Kräftige, arbeitsame Hände waren es, und doch nicht stark genug, um sie zu retten. Eine neue Welle durchnässte ihren Rock, doch kein Angstschrei kam mehr über Annas Lippen. Der Schweiß, den ihr die Anstrengung auf die Stirn getrieben hatte, mischte sich mit dem Salzwasser. Die Windböen trieben ihr die Tränen in die Augen. Mühsam hob Anna den Kopf und versuchte zum Horizont zu schauen, aber sie konnte einfach keine Grenze mehr ausmachen zwischen Himmel und Erde.
Hatte es eben geblitzt? Gleich ließ sie ein Donnerschlag zusammenfahren. Noch einmal blitzte und donnerte es. Dann, von einem Moment auf den anderen, schüttete es wie aus Eimern.
Ich habe Angst, dachte Anna, ich habe so furchtbare Angst. Mit jedem Atemzug zitterten ihre Beine mehr. Die Menschen, die ihr nahestanden, kamen ihr mit einem Mal in den Sinn, ihre Arbeitgeberin, Frau Bethge, ihre beste Freundin Gustl. Alle hatten sie sie vor dieser Reise gewarnt.
Eine neue Welle warf sie nach vorn. Dieses Mal schrie Anna doch. Wenn ich über Bord gehe, schoss es ihr durch den Kopf, werde ich auf immer fort sein. Ich bin allein, niemand wird mich auf diesem Schiff vermissen. Wie lange wird meine Kraft noch reichen?
»Hilfe!«, schrie sie, »Hilfe, so helft mir doch!«
Doch der heulende Sturm schluckte ihre Worte. Ganz fern, über das Brausen des Windes hinweg, hörte sie eine Glocke, dann Stimmen, kaum wahrnehmbar. Annas Arme zitterten. Ich werde über Bord geschleudert werden, durchfuhr es sie mit schmerzhafter Gewissheit, ich werde meine Familie niemals mehr wiedersehen. Ich werde sterben.
Aber ich will nicht sterben.
Anna öffnete den Mund, um nochmals zu schreien. Mit neuer Wucht prallte sie geg