Als Toter in Stavanger
Armselige Vorstadtsklaven. Notschlachten wäre noch zu nett gewesen.
Im Ernst.
Diese Ratten sollten ruhig ewig leben. DieAVS in ihren ewig gleichen Pseudofachwerk-Strafkolonien. Die Insassen hatten sich einreden lassen, dass sie freiwillig dort waren, also brauchte das Gefängnis keine Mauern. Und in dieser Inhaftierung durch Ambition pflanzten sie sich auch noch treudoof fort und gaben ihre Diener-DNA an die nächste Generation stumpfäugiger Gefangener weiter.
Und jeden Tag standen sie wieder auf und beteten, die Befreiung möge niemals kommen: »Lieber Gott, bewahre uns vor der Einzigartigkeit. Gib uns ewige Anpassung und erlöse uns von jeder Besonderheit. Amen.«
Gerade hing ihm so einer auf der Stoßstange, ließ die Lichthupe seinesMX3 aufblitzen, riss dazu die Augen auf und schnaubte. Was für ein Pfosten! Riskierte sein Leben bei einem Überholmanöver kurz vor dem Ende der Kriechspur, damit er eine Stelle –eine Stelle – weiter vorne an der Ampel stand. Was sagte einem das über das Leben, das er da gerade riskierte?
Ganz genau.
Armselige Vorstadtsklaven. So kam es überhaupt erst zu Stress und Gewalt im Straßenverkehr. Die gingen nicht etwa auf die immer schlimmere Staulage zurück (wobei die Autoeinzelbelegung natürlich mit beiden zu tun hatte), sondern vor allem darauf, dass dieAVS hier ihre einzige Chance für ein bisschen Kühnheit sahen, einen letzten, geisterhaften Rest des Willens zur eigenen Identität. Nur noch hier konnten sie ansatzweise Individualität zeigen, wenn sie allein hinter dem Lenkrad saßen und mit den anderen Gesichtslosen um die Platzierung kämpften. Wenn man den Typen im größeren, neueren, schickeren Auto überholte, vergaß man, auf wie viele andere, bedeutendere Weisen er einen abgehängt hatte. Wenn einem einer in die Quere kommt, einen aufhält, projiziert man all seine Frustrationen auf ihn, weil er einen daran erinnert, wie viele Hindernisse zwischen hier liegen und dort, wo man hinwill. Der Wagen vor einem ist das mangelnde Selbstvertrauen, das Vermächtnis der überbehütenden Mutter. Der Wagen vor einem ist die Konfrontationsangst, das Erbe des geknechteten, gebrochenen Vaters. Der Wagen vor einem ist die Uni, auf die man nicht gegangen ist, der Golfclub, dem man nicht beigetreten ist, die Bruderschaft, zu der man nicht gehört. Der Wagen vor einem sind die Frau und die Kinder und die Risiken, die man nicht eingehen kann, weil man Verantwortung trägt.
Aber das eigentlich Tragische ist, dass man das Auto vor sich, das Hindernis braucht, weil es einem die Konfrontation mit der Tatsache erspart, dassman nicht weiß, wohin man will. Außerhalb der Strafkolonie würde man sich nicht zurechtfinden. Es ist gruselig da draußen.
Das wäre nichts für einen.
Und deshalb wurden jedes Jahr Milliarden ins Marketing quasiidentischer Karren als Zeichen persönlichen Geschmacks und Urteilsvermögens investiert. Toyota, Nissan, Honda, Ford, Vauxhall, Rover, jeder mit einem Kombi, einem Coupé, einer Limousine, jedes Modell bis auf das Markenzeichen kaum von seinen Konkurrenten zu unterscheiden. In den Werbespots waren Muskelprotze mit breitem Unterkiefer zu sehen, die Kinder retteten, mit Haien kämpften und es trieben wie die Hengste, Hauptsache, niemand achtete allzu sehr auf das Auto. »Der ne