Kapitel2
Daisy
Ich hasse diesen Song«, sagte Juicy und befahl dem Lautsprecher per Sprachsteuerung, einen Song in der Playlist weiterzuspringen. Sie brauchte drei Anläufe, bis die kleine Box auf ihre Rufe reagierte, da es durch das Stimmengewirr in der Umkleide ziemlich laut war. Im nächsten Moment wurde irgendein Kesha-Song von einem Lied von Kanye West abgelöst, woraufhin Juicy sich zufrieden tiefer in die pinke Ottomane sinken ließ, auf der sie lag.
Ich lehnte mich vor zum beleuchteten Garderobenspiegel, so wie mindestens zehn andere Mädchen am langen Schminktisch, und trug matten roten Lippenstift auf, der meinen Mund voller und sinnlicher wirken ließ. Diese flüssigen Tinkturen waren gefährlich. Der Kram war nämlich bombenfest. Wenn man einmal ausrutschte oder eine wacklige Linie zog, riskierte man es, das gesamte Make-up um den Mundbereich neu auftragen zu müssen. Aber nicht heute. So perfekt hatte ich meinen Lippenstift schon lange nicht mehr gezogen. Die Form war genauso, wie ich sie haben wollte, und strahlte tiefrot. Deshalb schnappte ich mir mein Settingspray und fixierte mein Make-up, in der Hoffnung, dass es meine nächste Show heil überstehen würde. Man konnte so akribisch sein, wie man wollte, aber wenn einem bei einer Show der Schweiß wie ein Niagarafall über den Körper strömte, dann zerlief selbst das hübscheste Gesicht wie heißes Kerzenwachs.
Ich hatte noch etwa zehn Minuten, bis meine Schicht begann. In der Umkleide roch es nach einer Mischung aus Parfum, Deodorant und Haarspray, überall waren Mädchen, die sich entweder gerade schminkten, in Dessous schlüpften oder sich frisierten. Manche lagen erschöpft auf den Sitzgelegenheiten oder tippten auf ihren Smartphones herum, wie zum Beispiel Juicy, die nach dem Track von Kanye West schon wieder mit der Sprachsteuerung stritt, um einen neuen Songwunsch zu äußern. Es war ein Schichtbeginn wie jeder andere imDolly House.
Nachdem ich mir braune Kontaktlinsen eingesetzt hatte, drehte ich mich auf meinem Drehstuhl herum und zog mir rote Stilettos an. Sie passten zum ebenfalls roten Dessous-Set mit dem ausladenden Dekolleté, den Strapsen und den Details aus Spitze, welches ich unter meinem kurzen Kleid trug.
Ich stand auf, schob mich an Delicious und Roxy vorbei und trat vor die verspiegelte Wand. Es fehlte nur noch die schwarze Maske aus Spitze, die ich immer trug, dann war mein Outfit komplett. Durch die blonde Perücke, das aufwendige Make-up und die Kontaktlinsen erkannte ich mich selbst nicht wieder.
Ich konnte spüren, wie sich etwas Brodelndes in mir legte, während ich meine Verkleidung betrachtete.
Das hier war Daisy.
Ich war Daisy.
Und für den Rest der Nacht würde Lenny James nicht mehr existieren.
»Computer!«, herrschte Juicy und setzte sich auf der Ottomane auf. »Scheiße noch mal, ich sagte, spiele Songs von denFugees, nichtThe Cookies!«
Ein sanfter, freundlicher Ton erklang, der den laufenden Track unterbrach. »Okay.Musik von The Cookies wird abgespielt.«
Ein paar Mädchen und ich lachten auf. Juicy hingegen stand offenbar kurz davor, auf die kleine Box einzuschlagen.
»Erst werde ich dieses Ding gegen die Wand schmettern, und dann werde ich darauf herumspringen, bis es in all seine Einzelteile zerbrochen ist!«
»Computer!«, rief nun Diamond kichernd, während sie glitzernde Sticker über ihre Brustwarzen klebte, »spiele einen Song von Nicky Minaj!«
Das ließ mich und noch ein paar andere Mädchen erneut lachen. Juicy hatte eine verblüffend große Ähnlichkeit mit Nicky Minaj – weswegen ihr Künstlername auchJuicy Minaj lautete. Sie hatte große, gemachte Brüste, einen riesigen Hintern, ein gemachtes Gesicht – von den Lippen über die Nase bis hin zu ihren Wangen –, trug jede Menge Make-up und grellen Lippenstift und besaß dann noch eine Taille, die den Kardashians Konkurrenz machen könnte. Gigi (ebenfalls eine Kollegin) sagte immer, Juicy würde aussehen wie ein gruseliger Alien mit eingefrorenem Gesicht. Ich hingegen stand zwar überhaupt nicht auf Schönheitsoperationen, doch in meinen Augen sah Juicy großartig aus. Und ihre Ausstrahlung