Kapitel 1
»Ich weiß nicht genau, wo wir sind. Wir müssen mal kurz anhalten.«
»Verdammt, Mum! Es ist stockdunkel, und wir hängen über einem Abgrund! Hier gibt es nichts, wo wir mal kurz anhalten können.«
»Immer mit der Ruhe, mein Schatz. Ich finde schon eine Stelle, wo ich gefahrlos ranfahren kann.«
»Gefahrlos? Dass ich nicht lache! Hätte ich das gewusst, hätte ich meine Steigeisen und meinen Eispickel mitgebracht.«
»Da oben ist eine Parkbucht.« Ruckelnd steuerte Helena den ungewohnten Leihwagen um die Serpentine und brachte ihn in der Bucht zum Stehen. Nach einem Blick auf ihren Sohn, der sich die Augen zugehalten hatte, legte sie ihm beschwichtigend eine Hand aufs Knie. »Jetzt kannst du wieder schauen.« Sie äugte durchs Fenster in das Tal, das tief unter ihnen lag, und auf die entlang der Küste funkelnden Lichter. »Es ist wunderschön«, murmelte sie.
»Nein, Mum, es ist nicht ›wunderschön‹. ›Wunderschön‹ wird es erst sein, wenn wir nicht mehr irgendwo in einem fremden Land im Outback herumirren, keine drei Meter von einem Steilhang entfernt, der, wenn wir abstürzen, unseren sicheren Tod bedeutet. Haben sie hier noch nie was von Leitplanken gehört?«
Ohne auf ihn zu achten, tastete Helena nach dem Schalter für die Innenbeleuchtung. »Schatz, gib mir doch mal die Karte.« Alex reichte sie ihr, und Helena starrte mit suchendem Blick darauf.
»Mum, sie steht auf dem Kopf«, sagte Alex.
»Schon gut.« Sie drehte die Karte um. »Immy schläft noch?«
Alex schaute nach hinten zu seiner fünfjährigen Schwester, die quer über dem Rücksitz lag und fest ihr Plüschlämmchen an sich gekuschelt hielt. »Ja, und das ist auch gut so. Sonst würde diese Fahrt sie für den Rest ihres Lebens traumatisieren. Wenn sie sehen würde, wo wir gerade sind, würde man sie nie wieder in eine Achterbahn bekommen.«
»Gut, jetzt weiß ich, wo ich mich verfahren habe. Wir müssen wieder den Berg runter …«
»Den Steilabhang«, präzisierte Alex.
»… beim Schild nach Kathikas links abbiegen und der Straße folgen. Hier.« Helena reichte Alex die Karte zurück und legte den Gang ein, den sie für den Rückwärtsgang hielt. Der Wagen machte einen Satz nach vorn.
»Mum! Um Gottes willen!«
»Entschuldigung.« Helena wendete unbeholfen und lenkte den Wagen wieder auf die Straße.
»Ich habe gedacht, du wüsstest, wo das Haus ist«, brummte Alex.
»Mein Schatz, als ich das letzte Mal hier war, war ich gerade zwei Jahre älter als du. Im Klartext, das ist fast vierundzwanzig Jahre her. Aber wenn wir im Dorf sind, erkenne ich es bestimmt wieder.«
»Wenn wir das Dorf jemals erreichen.«
»Jetzt sei doch nicht so miesepetrig!« Erleichtert sah Helena den Wegwei