: Ursula Kollasch
: A Sweet Taste of Today Young-Adult-Roman
: Zeilenfluss
: 9783967141153
: 1
: CHF 4.00
:
: Erzählende Literatur
: German
: 408
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wie vollendet muss deine Gegenwart sein, bis du aufhörst, sie zu manipulieren?   Als temperamentvolle Einzelgängerin hat es Elly nicht leicht. Von den Oberzicken der Highschool wird sie gemobbt, das Verhalten einiger Lehrer ist bestenfalls fragwürdig, und Matt, mit dem sie seit frühester Kindheit aneinandergerät, löst plötzlich ziemlich verwirrende Gefühle in ihr aus.  Dabei ist für Elly nichts wichtiger, als Ruhe zu bewahren, damit niemand hinter ihr Geheimnis kommt: Sie kann nicht nur Erinnerungen und Geheimnisse wahrnehmen, wenn sie Dinge oder Menschen berührt, sondern auch Energie nach außen entladen, wenn starke Emotionen in ihr aufwallen. Als sich die Situation zuspitzt, sieht sie keinen anderen Ausweg, als sich ebenso mächtige Verbündete zu suchen. Gemeinsam beschließen sie, von ihren Gaben Gebrauch zu machen, um die Ungerechtigkeiten zu korrigieren und sich zur Wehr zu setzen. Doch Macht bedeutet auch Verantwortung, und letztendlich muss sich Elly die Frage stellen: Rechtfertigt das Ziel wirklich die Mittel? 

3


Abigail Hunter


 

 

Abigail Hunter hatte ihre Psychotherapie-Praxis im Erdgeschoss der weitläufigen Südstaatenvilla eingerichtet, in der sie mit ihrer kleinen Familie lebte. Ihre geliebte Großmutter hatte ihr das historische AnwesenOakley Gardens hier in Charleston nach ihrem Tod vermacht, da war Abby gerade einmal neunzehn Jahre alt und noch auf dem College gewesen. Nur wenige Wochen nach der Testamentsverlesung war sie damals von Detroit im Norden, wo ihre Eltern gelebt hatten, hierhergezogen. Viele Möbel und Gegenstände von Granny hatte sie bis heute behalten, sie erinnerten sie an die Frau, die ihre engste Vertraute gewesen war, ihr Ruhepol und sicherer Hafen in ihrer recht durchwachsenen Kindheit.

Der Raum, in dem sich ihr Sprechzimmer befand – ehemals einer der beiden kleinen Salons –, war geschmackvoll und zweckmäßig zugleich eingerichtet. An der Wand hingen ihre gerahmten Diplome, die sie alle mit Auszeichnung abgeschlossen hatte. Ein paar Jahre später als geplant, denn sie war in ihrem letzten Collegejahr mit neunzehn schwanger geworden und hatte, um in Ellys ersten Lebensjahren ganz für sie da zu sein, die Ausbildung unterbrochen.

Gerade hatte sie die Sitzung mit Mrs. Codley beendet. Die korpulente Mittfünfzigerin, eine Hausfrau aus Charleston, litt unter Zwangsstörungen, dem exzessiven Drang, sich zu waschen und die Wohnung zu putzen. Die redselige Mrs. Codley wusste, dass ihre Zwangsgedanken und -handlungen irrational waren, konnte sie dennoch nicht abstellen. Bisher hatte sie in der Therapie nur wenig Fortschritte gemacht, denn die Frau war noch nicht so weit, sich den wahren Ursachen, den Auslösern ihrer Zwangshandlungen, wirklich zu stellen. Doch das würde noch kommen. Wichtig war, dass die Patientin irgendwann mit Abbys Hilfe zum Wesentlichen, zum Kern ihrer Probleme vordrang. 

Nun stand die Therapeutin mit Mrs. Codley auf der Veranda, um sie zu verabschieden, was diese anscheinend hinauszögern wollte, denn sie plapperte unaufhörlich weiter. Abby lauschte nur mit halbem Ohr dem Redefluss, da sie in diesem Moment ihre Tochter erblickte, die die Auffahrt entlangtrottete. Sie legte die Termine der Sitzungen immer so, dass sie spätestens endeten, wenn Elly von der Schule zurückkehrte.

Oh, ... das sah nicht gut aus. Eine gewisse Anspannung erfasste Abby. Irgendetwas war passiert, das erkannte sie an Ellys Gesichtsausdruck, ihrer Haltung. Darum fiel sie der Patientin – entgegen ihrer sonstigen Geduld – ins Wort. »Wir sehen uns nächste Woche zur selben Zeit. Achten Sie auf sich und denken Sie bitte an das, was wir heute besprochen haben.«

Sie schüttelte der Frau die Hand, die sich nun endlich verabschiedete und die Verandatreppe hinabstapfte, und blickte ihr hinterher, wie sie auf der langen Auffahrt ihre Tochter passierte.

Während Elly weiter mit finsterem Gesicht auf ihr Heim zuschritt, betrachtete ihre Mutter deren rotes, leicht gewelltes Haar, das ihr bis zur Mitte des Rückens reichte, dachte an ihre blasse Haut mit den Sommersprossen um die Nase, die Elly genauso verabscheute wie ihre Haarfarbe. Dazu war sie großgewachsen, fast zu dünn, ihre langen Gliedmaßen erinnerten an die eines Rehkitzes. Ja, Elly mochte ihr Äußeres nicht, weil es so anders war als das ihrer Mitschülerinnen, dabei fand sie, ihre Mom, sie