: Philipp Gurt
: Chur 1947 (rot) Kriminalroman
: Emons Verlag
: 9783960415800
: 1
: CHF 7.70
:
: Historische Kriminalromane
: German
: 352
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Kriminalroman aus der Schweiz der 1940er Jahre. Chur im Hitzesommer 1947: Ein grausamer Fräuleinmörder versetzt die Stadt in Angst und Schrecken. Schnell fällt der Verdacht auf einen jungen Mann, der in einer Armenanstalt als Knecht arbeitet. Nach der ersten Einvernahme flüchtet er in die Berge, und eine gnadenlose Hetzjagd beginnt. Doch Landjäger Walter Caminada stösst bei seinen Ermittlungen auf Ungereimtheiten. Die Spuren führen ihn ins Irrenhaus, aber auch in die höchsten Kreise der lokalen Regierung - bis Caminada selbst in Bedrängnis gerät ....

Philipp Gurt wurde 1968 als siebtes von acht Kindern in eine Bergbauernfamilie in Graubünden geboren. Er wuchs in verschiedenen Kinderheimen auf. Früh begann er mit dem Schreiben. Zwölf seiner Bücher wurden bisher veröffentlicht, darunter auch mehrere CH-Bestseller. 2017 erhielt er den Schweizer Autorenpreis. Er lebt in Chur im Kanton Graubünden.

1


Chur – Freitag, 18. Juli 1947

Ein heisser Tag neigte sich im Sommer 1947 seinem Ende zu. Schon seit Wochen brütete die Sonne über der Hauptstadt Graubündens, als wolle der Herrgott die Menschen ermahnen. In den Gassen und Häusern staute sich die Wärme Hitzköpfen gleich, dass manch einer nächtelang in seiner stickigen Kammer sich wälzend den Morgen herbeisehnte, dessen zartes Licht doch nur einen weiteren Gluttag ankündigte. Denn Tag für Tag spannte sich ein blassblauer Himmel über der Schweiz. Die unbarmherzige Sonne knallte einem gleissenden Schmiedehammer gleich hernieder, als entzünde sich damit das bevorstehende Unheil in der schwülen Luft.

Es war kurz vor neunzehn Uhr. Die Hoffnung auf ein abkühlendes Gewitter schwand gleichsam mit den goldgelb geränderten Schleierwolken dahin, die der träge Südwind vom Bündner Oberland ins Churer Rheintal schob.

Ungeduldig blickte Flurina Hassler auf die grosse Uhr in der Telefonvermittlungszentrale. Vor zwei Jahren, nur einen Tag nach ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag, hatte sie diese Arbeitsstelle am Postplatz angetreten. Seit dem Tag sass sie auf dem dritten Stuhl von rechts und trug wie die anderen einen weissen Kittel, als stände sie in der Unteren Gasse beim rotwangigen Riffel hinter dessen Metzgereitheke.

Flurina ertappte sich schon wieder dabei, wie sie erwartungsfroh auf die weisse Uhr blickte, deren schwarzer Minutenzeiger sich nicht bewegen wollte, als wäre er bloss aufgemalt. Sie wusste, dass jede Regung ihrerseits registriert wurde. Hinter ihr und den anderen Vermittlerinnen sassen die drei Aufseherinnen an den Kontrolltischen. Bereits gestern hatte die steifhalsige und meist schlecht gelaunte Clementina Clavout sie wegen ihrer Blicke auf die Uhr ermahnt: «Flurina, du Donnersmaitli! Was ist in den letzten Tagen bloss in dich gefahren? Reiss dich endlich zusammen. Man könnte ja fast meinen, es erwarte dich ein Prinz in seiner Kutsche auf dem Postplatz unten.»

Flurina hatte entschuldigend gelächelt und sofort ein weiteres Gespräch angenommen. «Grüaziwoll, hier spricht die Vermittlung in Chur. Welche Verbindung wünschen Sie? – Sehr gära, Härr Toggtr von Planta. Einen Moment bitte schön. – Härr Toggtr? Ihre Verbindung zum Palace Hotel in St. Moritz steht. Sie können jetzt sprechen. Uf fiderlosa, Härr Toggtr.»

Flurina gefiel diese Arbeit, und viel Auswahl gab es in Chur in diesen Nachkriegsjahren ja sowieso nicht. Zuvor hatte sie in der Seifenfabrik Hegner& Cie. ein bescheidenes Auskommen gefunden, doch das Handwerk des Seifensiedens gefiel ihr gar nicht. Vor allem der Gestank nicht, wenn aus den Knochen das Fett ausgekocht wurde und deshalb eine schwere Dampfwolke in der alten Fabrikhalle hing. Ihre Haare fühlten sich jeden Abend schmierig an, und das trotz des Kopftuches. Das war aber vorbei, und darüber war sie froh. Sie war in ihrer Schicht für jeweils zehn der insgesamt einhundert Leitungen in der Telefonzentrale verantwortlich. Gemeinsam vermittelten sie die Anrufe für den grössten Teil Graubündens und mussten so schnell wie möglich und immer freundlich die Verbindungen für die Anrufer aufbauen und bei Ende der Gespräche diese sofort schl