: Helmut Krausser
: Die letzten schönen Tage Roman
: DuMont Buchverlag
: 9783832185466
: 1
: CHF 7.30
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Serge Hanowski ist Mitte dreißig und Werbetexter in einer Berliner Agentur. Er ist manisch - mit einer Prise diabolischem Feuer. Eines Nachts wartet Serge auf die letzte Bahn nach Neukölln, als er auf den Gleisen ein Centstück liegen sieht. Er weiß sofort: Das ist mein Glückscent. Aber runterspringen? Die Vernunft siegt. Serges größter Wunsch ist es, endlich seine Freundin Kati zu heiraten. Was er nicht weiß: Kati hat ein Verhältnis mit seinem Arbeitskollegen David. Doch sie entscheidet sich für ihn und eine gemeinsame Auszeit auf Malta. Die beiden kommen bei den halbseidenen Angestellten eines Online-Poker-Servers unter, was ihr Leben nicht einfacher macht. Und auch auf der Insel wird Serge von Eifersucht getrieben. Er hackt sich in Katis E-Mail-Zugang ein und beginnt in ihr Leben einzugreifen. Kati kann nur ahnen, wozu Serge in der Lage ist. Tempo, Witz und die Fallstricke einer Dreiecksbeziehung machen Helmut Kraussers neuen Roman zu einer rasanten Tragikomödie um Liebe, Entsagung - und nahrungsverweigernde Kater.

Helmut Krausser, geboren 1964, lebt in Berlin. Bei DuMont erschienen neben dem Gedichtband>Plasma< (2007),>Verstand und Kürzungen< (2014), die Romane>Eros< (2006),>Die kleinen Gärten des Maestro Puccini< (2008),>Einsamkeit und Sex und Mitleid< (2009)>Die letzten schönen Tage< (2011) und>NIcht ganz schlechte Menschen< (2012) sowie die Tagebücher>Substanz< (2010) und>Deutschlandreisen< (2014) und der Kriminalroman>Aussortiert< (DuMont Taschenbuch 2011). Seine Romane>Der große Bagarozy<
TIFLIS (S. 144-145)

Wenn es in Tiflis etwas gab, was Greta und Ralf an Malta erinnerte, waren es die altersschwachen gelben Omnibusse. Aber das konnte ihr Heimweh nicht wirklich lindern. Sie hatten mit durchwachsenem Erfolg an einigen kleineren Pokerrunden teilgenommen und gerade genug verdient, um das winzige Pensionszimmer zu bezahlen. Der einzige Lichtblick war die georgische Begeisterung für das Backgammonspiel, und nachmittags im Kaffeehaus fand Ralf immer wieder Freier, die bereit waren, gegen ihn um dreißig Lari (etwas mehr als zehn Euro) den Punkt zu spielen, ein immens hoher Betrag für hiesige Verhältnisse.

Und endlich war Ralf sogar an einen Goldfisch geraten. Das ist unter Berufsspielern (sogenannten Haien) die Bezeichnung für einen Freier (einen deutlich schwächeren Spieler) mit viel Geld in der Tasche. Ralf, der es gewohnt war, eine Error Rate von unter 3 zu spielen, hatte drei Stunden geackert, um mit 15 Punktenà 20 Euro vorn zu liegen. Sein Gegner, Surab, ein distinguierterälterer Sakkoträger um die fünfundsechzig, mit weißem Backenbart und eher mongolischer als kaukasischer Physiognomie, trug drei dicke Ringe an den Fingern der rechten Hand, und seine Angewohnheit, mit diesen Ringen, wenn er nervös war, gegen die marmorne Tischplatte zu trommeln, klack-klack-klack– wodurch die Hand des Georgiers ungewollt eine gierige Gib-mir-gib-mir-Geste vollführte –, zerrte an Ralfs Nerven.

Einige lokale Spieler saßen um das Board herum, rauchten schwarzen Tabak und flüsterten sich etwas zu, mal debattierten sie auch laut. Kiebitze sollten sich, das war in Georgien nicht anders als sonst wo in der Welt, jedes Kommentars enthalten, undöfters einmal sah Ralf irritiert und mißbilligend in die Runde, dann aber sahen die Kiebitze irritiert und mißbilligend zurück, keckerten frech und grinsten sich eins. Ralf fühlte sich nicht wohl, zeigte aber enorm viel Selbstkontrolle. Greta saß in zweiter Reihe hinter ihm und lenkte die Aufmerksamkeit der Kiebitze immer wieder auf ihr bewußt sehr spendabel gewähltes Dekolleté.

Es folgte eine Partie, in der Ralf nach einem Blitzangriff den Dopplerwürfel gab, keineswegs zu früh, sein Gegner nahm die Verdopplung des Einsatzes fälschlicherweise an, ein Blunder (grober Fehler)– wie sich später in der Computeranalyse zeigte –, und gab den Würfel nach einem glücklichen Pasch, der ihm kaum mehr als ein vorläufigesÜberleben garantierte, zurück. Das war nun ein surreales Freierstück, durch gar nichts zu rechtfertigen. Ralf konnte an so ein Geschenk kaum glauben und entschloß sich zu einem Beaver, er drehte also den Würfel nochmal auf die 16 und behielt ihn auf seiner Seite, und als er den Schuß, den der Georgier alsbald lassen mußte, getroffen hatte, gab Ralf ihm den Würfel mit einer mürrischen, leicht genervten Geste auf der 32.

Das war nun beim besten Willen kein Take mehr, viel eher ein Mega-Monster-Pass. Unter normalen Umständen hätte Ralf 16 Punkte kassiert, hätte pro forma noch ein paar Spiele hinter sich gebracht und wäre, zufrieden mit der Beute, abends mit Greta gut essen gegangen, statt von belegten Broten zu leben. Doch genau jene genervte, etwasüberhebliche und rechthaberische Geste, die er sich einfach nicht verkneifen konnte, erzürnte Surab, den backenbärtigen Goldfisch, einen für seine fragwürdigen Takes ebenso wie für sein Glück berüchtigten Holzfabrikanten– und einfach nur deshalb, weil er es sich schmerzfrei leisten konnte, akzeptierte er gegen jede