: Sabine Thiesler
: Grabesstille Nacht Zwei etwas andere Weihnachtsstorys
: Heyne
: 9783641193881
: 1
: CHF 0.80
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 40
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Atemberaubend spannende Weihnachten in der Toskana
Der misshandelte kleine Junge Filippo reißt kurz vor Weihnachten von zu Hause aus. Er flieht über die Berge in dunkle Wälder und läuft direkt in die Arme eines finsteren Mannes, der nichts Gutes mit ihm vorhat.

Zum ersten Mal in ihrem Leben freut sich Emilia auf Weihnachten, denn am Heiligabend werden die Erniedrigungen durch ihren Mann endlich vorbei sein. Sie plant ein ganz spezielles Weihnachten und fängt zu diesem Zweck seit Monaten Fliegen ...

Zwei toskanische Weihnachtsgeschichten von Sabine Thiesler - hochspannend und grandios atmosphärisch. Grabesstille Nachterscheint exklusiv als eBook Only und umfasst ca. 40 Seiten.



Sabine Thiesler, geboren und aufgewachsen in Berlin, studierte Germanistik und Theaterwissenschaften. Sie arbeitete einige Jahre als Schauspielerin im Fernsehen und auf der Bühne und schrieb außerdem erfolgreich Theaterstücke und zahlreiche Drehbücher fürs Fernsehen (u.a.Das Haus am Watt,Der Mörder und sein Kind,Stich ins Herz und mehrere Folgen für die Reihen Tatort und Polizeiruf 110). Ihr Debütroman »Der Kindersammler« war ein sensationeller Erfolg, und auch all ihre weiteren Thriller standen auf der Bestsellerliste.

DIE IRRE VON
SAN LORENZO

Italien 1854

Um drei Uhr morgens fasste Filippo den Entschluss wegzulaufen. Die Angst vor der Nacht, der Kälte, dem dunklen Wald und den Tieren war nicht so groß wie die vor seinem Vater. Erst gestern Abend hatte er ihn wieder mit einem krummen Eichenstock verprügelt, bis seine Mutter, die das mit ansehen musste, genauso geschrien und den Vater um Gnade angefleht hatte wie er. Das Allerschlimmste daran war, dass er nicht wusste, warum der Vater schon wieder zuschlug, er redete nicht, er schimpfte nicht, er holte den Stock und drosch einfach drauflos. Und Filippo wagte nichts mehr zu sagen und nichts mehr zu tun, hatte nur noch Angst, irgendetwas falsch zu machen.

Er hatte keine andere Wahl – er musste weg. Über den großen Berg, den Prato Magno. Dort würde man ihn nicht finden, und sein Freund Luca hatte gesagt, dort wäre das Meer, und dort schiene immer die Sonne. In einer Woche war Weihnachten. Vielleicht schaffte er es bis dahin, am Meer zu sein.

In der Nacht hatte es etwas geschneit, die Wiese vor dem Haus glitzerte bläulich im fahlen Mondlicht. Filippo zog zwei Hemden, zwei Paar Strümpfe, sein dickes Wams und zwei Hosen an, schlich in die Küche und packte ein Stück Pecorino und eine angeschnittene Salami, die er in der Speisekammer fand, in seinen Beutel, ebenso ein halbes, schon trockenes Brot. Im Flur hängte er sich seinen langen Schafspelz um und verließ leise das Haus.

Niemand hatte ihn gesehen oder gehört, seine Eltern schliefen noch. Immer wenn sein Vater ihn verprügelt hatte, schlief er am Morgen danach extrem lange.

Filippo lief schnell. Er rannte fast. Raus aus dem Dorf, durch das Olivenfeld von seinem Onkel Siro und weiter den Weg hinauf, bis der Wald anfing. Schwer atmend blieb er stehen und sah zurück. In der Ferne konnte er am Rande von San Lorenzo sein Elternhaus sehen. Das mit dem gräulichen Dach und dem dicken Schornstein, der zum großen Kamin in der Küche führte. Was würde seine Mutter tun, wenn sie in sein Zimmer kam, um ihn zu wecken, und er war nicht da?

Das Herz schnürte sich ihm zusammen, und bereits jetzt überschwemmte ihn das Heimweh derart, dass er anfing zu weinen. Er liebte seine Eltern mehr als alles auf der Welt. Warum konnten sie nicht einfach zusammen leben wie andere Familien auch? Sein Freund Luca hatte keine Angst vor seinem Vater, Luca war auch noch nie verprügelt worden. Er bekam höchstens Ärger, wenn er schlechte Zensuren mit nach Hause brachte. Filippo hatte noch nie schlechte Zensuren gehabt, bei allem, was er tat, strengte er sich an, aber es reichte nie.

Langsam ging er weiter. Der Wald wurde immer dunkler und dichter. Ein Rehbock schrie dröhnend und dumpf, und das Unterholz knackte und raschelte. Dann hörte er es bedrohlich nahe schnaufen und grunzen und hielt die Luft an: Eine Rotte Wildschweine rannte ungefähr zehn Meter vor ihm durch das Dickicht. Filippo stand ganz still und bewegte sich nicht, und die Schweine nahmen zum Glück keine Notiz von ihm.

Aber dabei fiel ihm ein, was er von Lucas Vater gehört hatte. Es gab wieder viele Wölfe in Umbrien. Geradezu eine Wolfsplage. Auch hier auf dem Prato Magno und in den umliegenden Tälern. »Wenn sie Hunger haben, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie kommen und unsere Kinder holen«, hatte er gebrummt, un