Große Liebe
1914
Edda versuchte, sich einen Bierfleck von der weißen Bluse zu wischen. Konnten die Gäste nicht besser aufpassen? Es reichte doch schon, dass sich ständig irgendein zudringlicher Mann beim Aufgeben der Bestellung viel zu eng an sie schmiegte. Ihr Unterrock kratzte, die Füße schmerzten, und außerdem lag ein ganz abscheulicher Geruch in der Luft, den sie nicht recht zuordnen konnte. Irgendwo musste etwas Verdorbenes liegen, nur wo? Den Boden unter den Tischen hatte sie schon abgesucht, aber sie konnte den Übeltäter bisher nicht finden.
»Muss ich dir Beine machen, Edda?«
Die unwirsche Stimme von Urs riss sie jäh aus ihren Gedanken. Er stand in der Hierarchie der Bediensteten über ihr und hatte ein besonderes Auge darauf, dass im GasthofRöschen alles wie am Schnürchen lief und niemand einen Grund zur Klage hatte. Er war mit Alice Ender verlobt, der Tochter der Wirtin. Darauf bildete er sich mächtig viel ein. Edda konnte nur den Kopf schütteln, wenn sie ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Ständig strich er sich die Haare glatt, ständig überprüfte er im Spiegel an der Wand sein Lächeln. Nichts an ihm schien echt zu sein, jede Bewegung wirkte endlose Male einstudiert, um den besten Eindruck zu hinterlassen. Hinzu kam noch, dass Urs unendlich faul war. Statt selbst einen Finger zu rühren, nutzte er seinen Status oft dazu, eine Zigarette nach der anderen zu rauchen, die er von den Stammgästen geschenkt bekam. Er sonnte sich darin, dass seine wichtigste Aufgabe darin bestand, das restliche Personal zu beaufsichtigen. Für ihn hieß das in erster Linie: Edda und die anderen herumzuscheuchen und sie zur Eile anzuhalten, wenn sie