Begegnungen im Park
Sonntagmorgen im Juni. Auf einer Parkbank unter den Kastanien liegt eine Pistole. Bierdosen und zerbrochene Flaschen auf dem Schotterweg erzählen von jugendlichen Aktivitäten der vergangenen Nacht. Inwieweit die heranhastende Frau, außer sich vor Sorge um den halbwüchsigen Sohn, damit zu tun haben mag, davon weiß der Kahlköpfige im Anzug nichts. Er hat den Stadtpark eben erst betreten und hält seinerseits Ausschau nach dem Anrufer von gestern Abend. Erstkontakt am Brunnen. Neue Mädchen. Frischfleisch aus Sankt Petersburg. Mehr hat der Unbekannte nicht zu sagen brauchen.
Mutter. Sohn. Zwei Männer, die etwas zu verhandeln haben. Die Pistole auf der Bank. Überreste einer langen Nacht.
Vom anderen Ende der Grünanlage kommend, eine Frau in Stöckelschuhen, mit einer Deutschen Schäferhündin an der Leine. Sowie ein Jogger-Paar. Dynamisch. Gutaussehend. Etwa Mitte vierzig. Im Partnerlook. Grau in Schwarz, bis auf die neongelben Schuhe. Als sie Frau und Hündin überholen. Zu nahe und abgelenkt von der Musik aus ihren iPods, erschrickt das Tier. Reißt sich los und ist im nächsten Augenblick im Gebüsch verschwunden.
Zwei Jogger. Eine Frau mit Hund steht jetzt ohne Hund auf dem Schotterweg und pfeift. Ruft, lockt. Schimpft. Dem Pärchen hinterher, das sich keiner Schuld bewusst ist an der Panikreaktion des Tieres. Das spurlos verschwunden bleibt. Auch ihr bleibt nichts anderes übrig, als sich auf die Suche zu begeben.
Am Brunnen steht ein Wartender. Die Hand, die ihn zum Krüppel macht, in die Tasche seiner Jeans vergraben. Ungeduldig. Schon seit Stunden. Vom Schläfchen auf der Parkbank sitzt ihm immer noch die Kälte in den Knochen. Als sich die beiden Läufer nähern, wendet er sich ab. Zitternd im Bemühen, Hass und Erregung zu verbergen. Die mit jeder weiteren Minute wachsen. Als der Glatzkopf endlich auftaucht, fasst der Mann in seine Lederjacke und erstarrt.
Erstarrt. Zunächst. Als sie den Gegenstand auf der Bank erkennt, ist auch die Frau mit Sohn. Ohne Sohn. Eine Waffe an dem Ort, wo die Freunde ihn zuletzt gesehen haben. Das ist schlimm. Keine Spur von ihrem Kind, noch schlimmer. Dann tröstend die Erkenntnis, dass das Kind, depressiv in letzter Zeit, teilnahmslos und unnahbar, Kriegsspielzeug und Waffen immer schon verabscheut hat. Erleichterung. Verschnaufen. Dem Bangen eine Pause geben. Kurz nur. Weil forsche Schritte, knirschend auf dem Kies, rasches Agieren dringlich machen. Reflexartig und unbewusst, der Griff zu der Pistole auf der Bank. Das kalte Eisen schnell verschwinden lassen zwischen Hosenbund und Gürtel. Rasch die Bluse darüber, damit der Mann im Anzug keine Fragen stellt. Sie grüßt. Lässt ihn vorüber gehen. Wartet, bis er abgebogen ist. Eilt weiter in den Park hinein mit der Entschlossenheit der Löwin, die um ihr verirrtes Junges bangt.
Nicht nur das Fehlen der Waffe in der Innentasche ist es, die den Lederjackenträger für Sekunden lähmt. Sondern das Tier, das plötzlich aus dem Nichts auftaucht und sich kläffend zwischen ihn und den Anzugträger stellt. Erinnerungen an den Deutschen Schäferhund des Onkels. Hasso. Fass! Weil ihn der Betrunkene in der dunklen Einfahrt seines Hofes nicht erkennt. Der Bub verliert vier Finger an der linken Hand. Sehr viel Blut. Sein Selbstvertrauen. Seine Jugend. Der Mann, der er in zwanzig Jahren sein wird, verliert in diesem Augenblick die Kontrolle über seine Blase.
Das attraktive Läufer-Paar hat seine erste Runde durch den Park beendet. Er dehnt. Sie dehnt. Zum Dehnen der Muskeln, Bänder, Sehnen dient die Bank. Auf der vor nicht allzu langer Zeit ein Bursch mit seinen Freunden trank. Wodka, Cola Rot und Bier mit ein paar fetten Tüten zu den Reggae-Rhythmen aus den Smartphones. Bis sie alle irgendwann nach Hause wanken. Bis auf einen. Den verlorenen Sohn. Buffalo Sold