1. KAPITEL
Irland, im Jahr 875
Nichts ist schlimmer, als die Ehefrau deines besten Freundes zu lieben, dachte Ragnar.
Er packte die Ruder fester und zog sie kraftvoll durch die Wellen. Er hätte nicht mit den beiden nach Éire kommen dürfen. Aber als Styr ihn gefragt hatte, musste er wohl einen schwachen Moment gehabt haben und hatte zugesagt. Obwohl er seine Besessenheit von Elena so tief wie möglich in sich vergrub, war doch der Gedanke daran, für immer durch viele Hundert Meilen von ihr getrennt zu sein, schlimmer als der, sie tagtäglich mit ihrem Ehemann zu sehen.
Nie hatte er einem von ihnen seine Gefühle gestanden. Darum wusste niemand, welche Qualen er empfand, wenn er Styr zusammen mit der Frau, die er liebte, in dessen Hütte verschwinden sah.
Dennoch konnte er sich einfach nicht dazu durchringen, sich von ihr fernzuhalten.
Während Ragnar ruderte, behielt er Elena stets im Blick. Ihr blondes Haar war von roten Strähnen durchzogen, wie Flammen auf goldenem Grund. Sie war schön wie eine Göttin – die er von ferne verehrte.
Sie betrachtete ihn als einen Freund, aber mehr nicht. Das war nicht überraschend. Eine Frau wie Elena verdiente einen starken Ehemann, einen hochgeborenen Krieger. Schon vor vielen Jahren war ihre Ehe mit Styr beschlossen worden, und Ragnar gehörte nicht zu den Männern, die einem Freund die Frau stehlen. Schon gar nicht dem besten Freund.
Elena hatte ihre Wahl getroffen, und Styr schien alles zu tun, um sie glücklich zu machen. Deshalb hatte Ragnar sich nie eingemischt.
Im Laufe der Jahre hatte er versucht, eine andere Frau für sich zu finden. Er war ein starker Krieger, und so manche junge Schönheit hatte schon ein Auge auf ihn geworfen. Aber keine von ihnen hätte sich je mit Elena messen können. Vielleicht würde das auch nie einer gelingen.
Nachdenklich betrachtete er sie, wie sie auf die grauen Wellen hinausstarrte. Etwas hatte sich in letzter Zeit verändert. Sie und Styr sprachen kaum noch miteinander. Ihre Kinderlosigkeit nagte an ihr, ließ sie in Kummer versinken. Ihr Gesicht war ungewöhnlich blass. Doch nichts, was er ihr hätte sagen können, würde ihr gebrochenes Herz heilen.
Das Drachenboot näherte sich dem Ufer. Hier war das Wasser flacher, als sie erwartet hatten.
„Wir gehen hier an Land“, bestimmte Styr. Er warf den anderen einen Blick zu und kam dann zu Ragnar. Einen Moment lang stand er nur da und sah auf die Küste hinaus. „Bleibst du hier bei Elena?“, fragte er dann. „Ich will nicht, dass sie in einen Kampf gerät, sollte es Ärger geben.“
„Ich werde auf sie achtgeben“, versprach Ragnar. Sein Schwert würde er im Blut eines jeden Feindes baden, der es wagte, Elena zu nahe zu kommen. Obwohl sie nicht zu ihm gehörte, stand sie unter seinem Schutz, und er würde sein Leben für sie geben.
Styr legte ihm eine Hand auf die Schulter und seufzte schwer. „Ich bin froh, dass du bei uns bist“, gab er zu. „Eine solche Reise kann man nur mit der Hilfe guter Freunde überstehen.“
„Keiner der Männer hat in den letzten drei Tagen ein Auge zugetan“, stimmte Ragnar zu. „Wir können alle eine gute Mahlzeit und etwas Ruhe gebrauchen.“ Ihr Schiff war in einen Sturm geraten und von den Wellen hin und her geworfen worden, als wollten die Götter ein Opfer fordern. Sie alle hatten gegen die harten Winde gekämpft und dem Unwetter getrotzt. Der Sieg über die Elemente hatte sie ihren Schlaf gekostet. Sein Körper und Geist waren so erschöpft, dass Ragnar kaum einen anderen Gedanken fassen konnte als den, an Land zu gehen und auf dem Sand zusammenzubrechen.
„Zu schade, dass du keine Frau hast, die dir das Bett wärmt“, stellte Styr achselzuckend fest.
Ragnar bedachte ihn mit einem spöttischen Blick. „Ich habe gehört, es soll in Éire hübsche Mädchen geben. Wer weiß, vielleicht finde ich ja eins.“
In den letzten Jahren hatte er ein paar Frauen gehabt, abe