Dalton hebt langsam die Hand und starrt auf den Streifen, den der Draht an seinem Handgelenk hinterlassen hat.
»Blut!« sagt er dann. Und noch einmal: »Blut!«
So bleibt er stehen, er saugt an der Wunde. Süßlicher Geschmack an seinem Mund.
Und der Blick geht weit über das Tal hinweg. Drüben die Berge, blauschimmernde Felsen, tiefgrüne Baumstreifen – Nadelwald.
»Morgen!« sagt Dalton leise.
Danach saugt er wieder. Er schmeckt sein eigenes Blut und weiß etwas, was außer ihm noch drei Männer wissen. Es hat auch mit Blut zu tun – nur nicht mit Daltons.
»Morgen wird er sterben, der arme Narr!«
Das sagt er und denkt an den Mann, der morgen oder übermorgen sterben wird. Es wird kein Zufall sein, sondern Absicht wie all das, was Dalton hier seit einer halben Stunde macht. Jesse Dalton überläßt dem Schicksal nie etwas – er spielt Schicksal.
Die Stimme verliert sich, der Wind singt am Hügel zwischen Fettholz, Blaugras und einigen kleinen Tannen, die einmal groß werden wollen – groß, wie es der Mann geworden ist, der morgen Dalton und einige Dinge mehr sehen wird. Um danach zu sterben…, ein armer Narr, der ein Spiel nicht kennt, das der Tod selber mit ihm macht.
Der Tod heißt Jesse Dalton, ist groß, hager, sehnig, wendig, schnell – eine furchtbare Kampfmaschine mit einem Revolver.
Dalton schweigt, er blickt nach rechts auf den Pfosten und das Ende Draht. Alles, was Dalton macht, ist wohlüberlegt und paßt immer so genau wie ein Steinchen zum anderen in einem Mosaikspiel.
Mosaikspiel des Todes…
Zwei Stücke Leder – hartes Leder, ein Draht, um den man die Lederstreifen legt. Und dann biegt man, bis der Draht bricht. Dann nimmt man einen Stein, legt den Draht auf den Stein, ein Ende Leder darunter, eins darüber. Und dann macht man ihn gerade und träufelt etwas Schwefelsäure auf die Enden. Danach sieht der Draht wie durchgerostet aus. Der Geruch verliert sich schnell. Keiner wird auf den Gedanken kommen, ein Ende des Drahtes etwa in den Mund zu stecken.
Dalton lächelt nicht. Er lächelt nie, sein Gesicht ist wie eine Maske. Darum nennen ihn einige Leute auch Stoneface-Dalton – Steingesicht.
Unten an der Senke stehen vielleicht sechzig Rinder, als Dalton zu seinem Pferd geht und aufsitzt. Er nimmt das Lasso.
Dann reitet er herunter, kommt über den kargen Boden und hat dicke Lederschuhe unter die Hufe seines Pferdes gebunden. Es sind Stulpschuhe, auf denen ein Pferd vielleicht zehn Meilen laufen kann. Die Eindrücke sind nicht zu sehen.
Dalton blickt sich noch einmal um.
Er ist allein.
Denkt er.
Er ist es nicht – drei Männer liegen auf dem Hügel, sechshundert Schritt zurück. Der in der Mitte ist alt, hat einen graubraunen Bart und hält das Glas vor die Augen. Der Mann ist groß, sicher noch einige Zentimeter größer als Dalton. Und zweimal so breit wie dieser. Dazu auch zweimal so kräftig.
Links neben ihm der zweite, der eine verjüngte Ausgabe des Alten sein könnte.
Und rechts der dritte – schlank, zäh, kleiner, viel kleiner und schwarzhaarig.
»Was macht er jetzt, Dad?«
Der Alte antwortet nicht – genießt das Schauspiel, einen Mann vorsichtig reiten zu sehen. Er starrt durch das Glas und erkennt immer mehr, daß Dalton ein Halunke ist.
»Dad, he, was macht er?«
»Matt, mein Sohn«, sagt der Alte. »wenn du deinen Vater noch mal wie einen Landtramp oder Hund mit ›he‹ anrufst, dann schlage ich dir die Ohren ab, verstanden?«
»Ja, Dad«, sagt Matt gehorsam und wirft dem Alten, der jemand mit der bloßen Faust totschlagen könnte, einen furchtsamen Blick zu.
»Ihr wollt wissen, was er macht? Er hat den Draht so gerichtet, daß es aussehen wird, als sei er durch Zufall zersprungen – oder durchgerostet. Jetzt reitet er hinunter und treibt die Rinder hoch. Teufel, er fängt sie ein, ist das