I. Zu neuen Ufern
»Seit Beginn Ihres Pontifikats und besonders seit der Erklärung der Glaubenskongregation vom 18. Dezember 1979 habe ich ja direkt wie indirekt immer wieder dem Wunsch nach einem klärenden Gespräch mit Ihnen Ausdruck verliehen und die Möglichkeit zu lernen wahrhaftig nie ausgeschlossen. Ich bin und bleibe zu einem solchen Gespräch bereit, wann und wo immer Sie es wünschen.«
Handschreiben an Papst Johannes Paul II. aus Sursee/Schweiz vom 25. August 1980
Nach der großen Konfrontation mit Rom und dem deutschen Episkopat vom 18. Dezember 1979 bis zum 10. April 1980 um meine kirchliche Lehrbefugnis, um meinen Lehrstuhl und das Institut für Ökumenische Forschung, drängt sich mir auf: Es wäre sinnlos, täglich Tränen zu vergießen, weil der gegenwärtige Papst mich nicht schätzt und mich nie einer Antwort würdigt. Auch mein »streng persönliches« Handschreiben an den Papst vom 25. August 1980, geschrieben in meinem Schweizer Seehaus, blieb unbeantwortet: Bis zum Tod dieses Papstes im Jahr 2005 wird es nie zu einem persönlichen Briefwechsel oder gar Gespräch kommen – ganze 25 Jahre lang. Doch ein Weiteres kommt hinzu: Meinen Namen in der theologischen Wissenschaft möchte ich keinesfalls auf das Etikett »Unfehlbar?« reduziert wissen; »Papstkritiker« und »Kirchenkritiker« war und wird nicht mein Beruf. Nein, es gilt zu neuen Ufern aufzubrechen! Gewiss, die Verbindung mit der alten Heimat lasse ich nie abreißen. Aber lieber als mich auf die Probleme des römisch-katholischen »Binnengewässers« zu fixieren, will ich mich jetzt noch mehr als früher hinauswagen auf die »Weltmeere« der Religionen und Kulturen.
Kräfte sammeln: ein »Ketzerschicksal«?
Ich setze ein, wo ich im zweiten Band meiner »Erinnerungen« aufgehört hatte: im Jahr 1980. Endlich kann ich einen wohlverdienten Erholungsaufenthalt auf der InselKreta antreten – die monatelangen Auseinandersetzungen hatten doch an meinen Kräften gezehrt. Welche Freude: im Monat Mai – nach den Erfahrungen meiner sieben römischen Studienjahre der klimatisch angenehmste Monat: warm, aber nicht heiß! – für drei Wochen auf dieser Insel im Süden des Ägäischen Meeres! Schon am Morgen vor dem Frühstück hinausschwimmen in die Bucht, tagsüber noch mehrmals. Auch Wasserski wieder einmal üben. Vor allem aber an der Sonne in aller Ruhe lesen, was ich will, und nicht, was ich muss. »Nichts Schönres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein« (Ingeborg Bachmann).
Nur wenige Bücher habe ich mitgenommen, darunter auch – doch dies war wohl ein Fehler – ein kenntnisreiches, im Jahr zuvor erschienenes Buch mit dem Titel»Ketzerschicksale. Christliche Denker aus neun Jahrhunderten« (Berlin 1979). Autor ist der hochkompetente, damals bereits 84-jährige KirchenhistorikerEDUARDWINTER, der selber leidvolle Erfahrungen mit der römischen Machtkirche durchstehen musste. Er hatte mir dieses Buch – gleichsam sein geistiges Testament – zugeschickt. In einem großen Bogen behandelt er darin die Schicksale offen oder verdeckt »ketzerischer« Denker vom 12. bis zum 20. Jahrhundert, die der Wahrheit mehr gehorchten als der kirchlichen und weltlichen Macht und dafür zu leiden hatten: von Joachim von Fiore über Nikolaus von Kues, Kopernikus, Kepler, Pascal und Leibniz bis zu Anton Günther, Franz Brentano und Herman Schell. Für mich zumeist bekannte Gestalten, aber hier speziell gesehen in ihrem Widerspruch zu herrschenden Lehren und Auffassungen.
Ein bewegendes Buch, das mich ermutigen sollte, mich aber oft niederdrückte. Konnte ich doch den Gedanken nicht verscheuchen: Wirst du viellei