: Klaus Modick
: Fahrtwind Roman
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462302974
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Auf den Spuren eines Taugenichts. In seinem neuen Roman erzählt Klaus Modick von einer Zeit der Umbrüche, von einem jungen Mann, der sich weigert, nützlich zu sein, und seinem abenteuerlichen Roadtrip ins Offene und Ungewisse. Die Bundesrepublik in den turbulenten Siebzigern. Während an den Universitäten die Revolution geprobt und bundesweit nach den Mitgliedern der RAF gefahndet wird, sitzt ein junger Mann vor dem muffig-engen Elternhaus und trifft eine Entscheidung. Er packt ein paar Sachen, greift seine Gitarre und geht. Wenig später steht er an der Straße und reckt den Daumen in den Wind. Ohne Geld und Plan schlägt sich der selbsternannte Nichtsnutz über Wien und die Toskana nach Süden durch, trifft auf schräge Vögel, hoffnungslose Romantiker, zwielichtige Rocker, Hippies und die große Liebe, spielt als Troubadour im Batikshirt groß auf, entdeckt die magische Welt der Pilze, das unvergleichliche Licht Italiens und die unermessliche Freiheit der Straße. Unfreiwillig wird er dabei zum Protagonisten eines raffiniert eingefädelten Verwirrspiels, das die Grenze zwischen Tag und Traum auf märchenhafte Weise verschwimmen lässt ... »Fahrtwind« ist ein schillernder Roman über das Loslassen und Ausreißen, über unstillbare Sehnsucht, die Wirren der Liebe, den Rausch und die Kraft der Musik. Kunstvoll und einfühlsam porträtiert Klaus Modick einen modernen Taugenichts, der sich mit Witz, Ironie und Fantasie den gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen seiner Zeit widersetzt. Und Eichendorff winkt aus der Ferne.

Klaus Modick, geboren 1951, studierte in Hamburg Germanistik, Geschichte und Pädagogik, promovierte mit einer Arbeit über Lion Feuchtwanger. Seit 1984 ist er freier Schriftsteller und Übersetzer und lebt nach diversen Auslandsaufenthalten und Dozenturen wieder in seiner Geburtsstadt Oldenburg. Für sein umfangreiches Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Nicolas-Born-Preis, dem Bettina-von-Arnim-Preis, dem Rheingau Literatur Preis und zuletzt dem Hannelore-Greve-Preis. Zudem war er Stipendiat der Villa Massimo sowie der Villa Aurora. Zu seinen erfolgreichsten Romanen zählen »Der kretische Gast« (2003), »Sunset« (2011), »Konzert ohne Dichter« (2015) und »Keyserlings Geheimnis« (2018).  Zuletzt erschien »Leonard Cohen« (2020) und der Roman »Fahrtwind« (2021).

Erstes Kapitel


I’m goin’ to some place
I’ve never been before
I’m goin’ where the water tastes like wine

Alan Wilson (Canned Heat)
Going Up The Country

 

Ich hatte herrlich lange geschlafen und ausgiebig gefrühstückt und setzte mich dann mit der Gitarre auf die Treppe, die vom Wintergarten in den Garten führte. Entspannt drehte ich mir eine Morgenzigarette, mischte zwecks Horizonterweiterung ein paar Krümel Gras dazu, sah den Rauchwölkchen nach, die im Blau verschwebten, genoss die Frühlingssonne und freute mich über das Vogelgezwitscher und das quirlige Eichhörnchenpaar, das sich im Walnussbaum tummelte. Ich klimperte auf der Gitarre und suchte für den Text, der mir seit einigen Tagen im Kopf herumging, nach einer flockigen Melodie.

Ich sitz in der Sonne,

summe mir ein kleines Lied,

blinzle zu der Wolke,

die da weiß ins Blaue zieht.

Gestört wurde meine Inspiration durch Motorgeräusch und Dieseldunst, als mein Vater mit dem Wagen in die Einfahrt einbog. Ich sah auf die Uhr. Pünktlich wie immer. Von Montag bis Freitag kam der Alte um 12:00 Uhr aus dem Büro, aß um 12:30 Uhr zu Mittag, legte sich um 13:00 Uhr eine halbe Stunde auf die Couch und fuhr dann um 13:30 Uhr zurück in die Firma.Heizungsbau, Installationen und Sanitärgroßhandel Johann Müller GmbH& Co.KG. Nach dem Krieg hatte mein Vater als kleiner Klempnergeselle die Ärmel hochgekrempelt und in die Hände gespuckt, um im Wirtschaftswunderland mit Fleiß und Schweiß auf dem sprichwörtlich goldenen Boden des Handwerks sein Glück zu machen. Die Firma war ständig gewachsen und wuchs immer noch, und alles hätte wie geschmiert ewig so weitergehen können und sollen, wenn --- ja, wenn ich mich zu einer Ausbildung aufraffen würde, mit der ich in die Firma eintreten undJohann Müller GmbH& Co.KG zuJohann Müller& Sohn GmbH& Co.KG veredeln würde. Von der Klempnerlehre bis zum Volkswirtschaftsstudium hätten meine Eltern alles Einschlägige begeistert oder jedenfalls erleichtert akzeptiert und großzügig finanziert. Als »& Sohn« wollte ich allerdings ums Verrecken nicht enden und verspürte auch nicht die geringste Neigung, Flachflansche auf Rohre zu schrauben oder die Gewinnmargen von Toilettenschüsseln zu optimieren. Nach einem mit Ach, Krach und blauem Auge bestandenen Abitur hatte ich lieber zwei, drei Semester locker vor mich hin studiert, ein Schlückchen Philosophie, eine Prise Kunstgeschichte, ein Quäntchen Literaturwissenschaft, aber heimisch wurde ich nirgends im akademischen Elfenbeinturm, der auch gar nicht aus Elfenbein, sondern aus Waschbeton war.

Meine Eltern nahmen diese Neigungen zur Brotlosigkeit mit Befremden, wenn nicht gar mit Verbitterung zur Kenntnis. Undankbar sei ich und wisse nicht, wie gut ich es habe, und solange ich meine Füße unter ihren Tisch und so weiter und so fort und überhaupt, was bloß aus mir werden solle?

Das wusste ich nicht so genau, wollte es damals auch noch gar nicht wissen, fand jedoch, im Sonnenschein auf der Schwelle zu sitzen, Gitarre zu spielen und ein Liedchen zu summen, wäre kein schlechter Anfang.

Mein Vater sah das natürlich entschieden anders. »Was gammelst du hier so nichtsnutzig rum?«, fragte er recht rhetorisch, als er die Treppe hochschnaufte. »Wie lange sollen wir dich eigentlich noch durchfüttern? Wenn du schon nichts mit der Firma zu tun haben willst, dann sieh wenigstens zu, dass du mir nicht mehr auf der Tasche liegst. Und geh mal wieder zum Friseur. Mit diesem Wischmopp auf dem Kopf findest du nie einen Job.«

Das wollte ich ja auch gar nicht – es sei denn, als Gitarrist. Aber für immer klimpernd auf der Treppe zu sitzen, war vermutlich auch keine Lösung. Und dass ich nach dem Abi zu Hause hocken geblieben war, statt schleunigst in eine andere Stadt zu ziehen, war durchaus ein Fehler gewesen. Da hatte mein Alter ausnahmsweise nicht ganz unrecht, auch wenn er es gar nicht so meinte. Geblieben war ich einzig wegen Doris, aber weil sie neulich zugunsten eines schnöseligen Zahnmedizinstudenten mit mir Schluss gemacht hatte, hielt mich nichts mehr h