ABHANDLUNGEN
Jan Müller
Idee und Wahrheit
Benjamins sprachphilosophischer Beitrag und seine Einheit
0.
Benjamins sprachphilosophische Überlegungen sind die systematische Klammer seines Werks,1 gelten aber als so sperrig und ›esoterisch‹, dass sie ohne umfängliche historische Kontextualisierungunverständlich seien.2 Dieser erstaunlich hartnäckigen Vormeinung folgend wurde Benjamins Sprachphilosophie zwar gekonnt in unterschiedlichste Traditionslinien gestellt,3 aber selten als eigenständig oder gar sachlich tragfähig diskutiert. Deshalb will ich zunächst das sachlicheProblem umreißen, mit dem Benjamin ringt (Abschnitte 1-2). Vor diesem Hintergrund wird die argumentative Funktion nachvollziehbar, die seine manchmal eigenwilligen Verwendungen von ›Wahrheit‹, ›Idee‹, ›Darstellung‹ und ›Sprache‹ haben. Benjamin erweist sich so als seriöser Gesprächspartner in der Frage, wie sich die Einsicht in die sprachliche und historische Perspektivierung unseres Denkens einerseits mit einer auf objektivem Sachbezug gründenden Vorstellung von begrifflichem Gehalt und sprachlicher Bedeutung andererseits zusammendenken lässt.
1.
Unsere Selbst- und Weltverhältnisse haben sprachliche Form; Sprechen ist – ob ausdrücklich oder als stilles Selbstgespräch – das Medium und die Fortbewegungsweise des Denkens. Alles Weitere hängt daran, wie man mit dieser Einsicht umgeht. Richard Rorty etwa folgert: »what appears to us, or what we experience, […] is a function of the language ›We customarily useF in making non-inferential reports about X’s‹.«4 Die Möglichkeit, eine Sache überhaupt aufzufassen, hängt vom verfügbaren Vokabular ab: in SpracheS nutzt manF, um aufX Bezug zu nehmen. Nun sind Vokabulare in die Vielzahl ›natürlicher Sprachen‹ differenziert, u