1 Voraussetzungen eines kritischen Subjektbegriffs
Das erste Kapitel untersucht dreiVoraussetzungen des kritischen Subjektbegriffs bei Adorno. Den Ausgangspunkt der Bestimmung des Subjektbegriffs durch Adorno bildet das Resultat der idealistischen Philosophie. Aus der Kritik am ursprungsphilosophischen Subjektbegriff Hegels entwickelt Adorno den »Vorrang des Objekts« und die Beziehung des Subjektbegriffs auf individuelle Subjekte. Die nominalistische Konsequenz, der diese Überlegung zu verfallen droht, wird durch eine Äquivokation im Subjektbegriff vermieden. Die Äquivokation besteht darin, daß der Begriff des Subjekts sowohl auf das Individuum wie auf ein überindividuelles, allgemeines Subjekt der Erkenntnis bezogen ist. Zumindest die eine Seite der Äquivokation, das Individuum, ist endlich und auf Selbsterhaltung verwiesen. Subjekt der Selbsterhaltung ist die Gesellschaft. Das ist die dritte Bedeutung, in der der Subjektbegriff bei Adorno verwendet wird. Die gesellschaftstheoretische Reflexion des idealistischen Subjektbegriffs führt schließlich zu einem negativ bestimmten Begriff von Subjekt. Das individuelle Subjekt ist wesentlich bestimmt durch heteronome gesellschaftliche Zwänge. Inhaltlich werden diese Zwänge im zweiten und dritten Kapitel entwickelt. Hier werden sie nur benannt, um den Fortgang der Argumentation zu gewährleisten (1.1).
Ein kritischer Subjektbegriff ist nur zu formulieren, wenn die Zwänge, denen die Subjekte unterworfen sind, als Zwänge bestimmt werden können, die gesellschaftlich nicht notwendig sind. Die Bestimmung solcher Zwänge setzt den Begriff eines gesellschaftlichen Zustands voraus, in dem die Individuen nicht durch diese Zwänge bestimmt sind. Dieser gesellschaftliche Zustand trägt bei Adorno den Titel Versöhnung. Er bildet den Maßstab der Kritik. Insbesondere von Vertreterinnen und Vertretern der »kommunikationstheoretischen Wende der Kritischen Theorie« ist bestritten worden, daß Adorno ihn begründen könne. Deshalb ist zu untersuchen, ob der Maßstab der Kritik zu begründen ist. Dazu ist die »Urgeschichte des Subjekts« zu interpretieren. Sie erklärt bei Adorno den Fortschritt in der Distanz zur Natur. Dieser Fortschritt ist eine Gestalt der Freiheit – es wird mehr produziert, als zu einfacher Reproduktion notwendig ist. Die Interpretation zeigt, daß sich bei Adorno zwei einander widersprechende Erklärungen dafür finden. Sie strukturieren seine Schriften seit derDialektik der Aufklärung. Einer dieser Argumentationsstränge begründet das materielle Substrat des Maßstabs der Kritik als durch Herrschaft erzwungene Produktion von Mehrprodukt (1.2).
Der Begriff der Versöhnung ist nicht nur auf ein materielles Substrat, das Mehrprodukt, bezogen. Er ist moralphilosophisch begründet. Im Zustand der Versöhnung wären die Gesellschaftsmitglieder nicht ein Mittel zur Produktion von Mehrprodukt. Umgekehrt: Der Zweck der ökonomischen Reproduktion bestünde in der individuellen Reproduktion der Gesellschaftsmitglieder (1.3).
1.1 Gesellschaftstheoretische Reflexion der Philosophie
1.1.1 Ausgang vom Idealismus
Die Reflexion des Verhältnisses von Subjekt39 und Objekt in der Erkenntnistheorie hat gezeigt, daß sich das Objekt nur vermittelt durch das Subjekt erkennen läßt. Nach Kant ist es das Subjekt selbst, das