: Ulrike Renk
: Mademoiselle Marthe und die Küche der Freiheit Roman
: Aufbau Verlag
: 9783841235282
: 1
: CHF 9.80
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 448
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Eine junge Frau erobert die Welt der französischen Küche.

1889: Marthe wächst auf einem Hof in den Vogesen auf, ihre Großmutter bringt ihr bei Brot zu backen, ihre Mutter, eine hervorragende Köchin, wie man aus den einfachsten Zutaten wunderbare Gerichte zaubert. Als sie mit ihrer Mutter nach Paris zieht, taucht sie in eine neue Welt ein. Nicht nur lernt sie einen Mann kennen, der ihr aller Gegensätze zum Trotz den Hof macht, sie erkennt auch, dass ihr das Schreiben genauso viel Freude macht wie das Kochen. Doch wird es ihr gelingen, sich in der männerdominierten Welt der französischen Küche zu behaupten? 

Bestsell rautorin Ulrike Renk erzählt das spannende Leben von Marthe Distel -Journalistin und Gründerin der renommiertesten Kochschule Le Cordon Bleu.



Ulrike Renk, Jahrgang 1967, studierte Literatur und Medienwissenschaften und lebt mit ihrer Familie in Krefeld. Familiengeschichten haben sie schon immer fasziniert, und so verwebt sie in ihren erfolgreichen Romanen Realität mit Fiktion. Im Aufbau Taschenbuch liegen ihre Australien-Saga, die Ostpreußen-Saga, die Seidenstadt-Saga, die große Berlin-Saga um die Dichterfamilie Dehmel und zahlreiche historische Romane vor. Mehr zur Autorin unter www.ulrikerenk.de.

Kapitel 2


Als Marthe am nächsten Tag den Tisch für das Abendessen deckte, hörte sie Hufgetrappel und das Knirschen von Rädern auf der steinigen Zufahrt zum Hof. Sie hob den Kopf, hielt den Atem an. War das nur Pierre, der Nachbar, der irgendetwas brachte? Manchmal kam er vorbei. Sie schaute unsicher zu Grand-mère, die auch den Kopf gehoben hatte und sich nun die Hände am Küchentuch abwischte.

»Er… erwartest du jemanden?«, fragte Marthe und schluckte, ihre Stimme klang brüchig.

»Nein.« Grand-mère ging zur Tür, öffnete sie und schaute in den Hof. Marthe wollte ihr folgen, traute sich aber nicht. Immer, wenn Händler kamen, schickte Grand-mère sie weg.

Unsicher stellte Marthe die Teller aus Steingut auf den Tisch, legte das Besteck daneben. Ihrer Großmutter war es wichtig, dass auch Stoffservietten neben den Tellern lagen und jeder ein Glas hatte. Auch ein Krug mit frischem Wasser aus dem Brunnen war Pflicht, genauso wie einer mit dem Hauswein, den sie aus dem Fass im Keller abfüllten.

Marthe prüfte den Tisch, alles war so, wie Grand-mère es wünschte. Nun ging sie zögerlich in Richtung Tür, wo die Großmutter immer noch abwartend stand.

Die Kutsche fuhr in den Hof, hielt an. Auf dem Kutschbock saß ein Mann, der die Hand zum Gruß hob, dann öffnete sich die Tür, und Marthe konnte eine Frauengestalt erspähen, die ausstieg. Sie streckte sich.

»Maman!«, rief Marthe, drängte sich an der Großmutter vorbei und eilte in den Hof. »Maman!«

Die beiden umarmten sich herzlich, drückten sich fest.

Endlich, dachte Marthe, endlich. Endlich ist Maman wieder da. Sie fühlte sich an wie immer, vielleicht ein wenig knochiger und steifer, aber sie roch ganz anders, ganz unvertraut. Julie rückte ein Stück von ihrer Tochter ab, musterte sie.

»Es ist schön, wieder bei dir zu sein«, sagte sie leise.

Der Mann auf dem Kutschbock räusperte sich, und Julie drehte sich schnell zu ihm um, nahm eine Münze aus ihrer Tasche und reichte sie ihm. Dann holte sie das kleine Köfferchen aus der Kutsche und ging zum Haus.

Grand-mère stand immer noch in der Tür, sie hatte weder etwas gesagt noch sich gerührt. Jetzt nickte sie ihrer Schwiegertochter zu und trat zur Seite, ließ sie ins Haus.

»Mach dich in Ruhe frisch«, sagte sie nun. »Wir werden mit dem Essen warten.«

»Ist gut«, sagte Julie.

In der Waschküche war auch die Zinkwanne und dort gab es einen Pumpschlegel, der Brunnenwasser führte. Einmal in der Woche wurde im großen Waschkessel Wasser für die Wanne erhitzt und alle badeten nacheinander. Im Winter gab es jeden Abend einen Krug mit warmem Waschwasser, im Sommer wuschen sie sich kalt.

Grand-mère zögerte einen Moment, doch dann ging sie mit festem Schritt in die Waschküche und setzte Wasser auf. »Nach so einer langen Reise willst du vielleicht ein schnelles Bad nehmen und dir den Reisestaub abwaschen.«

»Danke«, sagte Julie verblüfft. »Das wäre wirklich schön.«

»Bring den Koffer deiner Mutter nach oben«, wies Grand-mère Marthe an. Sie selbst ging zum Herd, zog den Topf mit der Suppe vom Feuer. Dann nahm sie Speck aus dem Vorratsschrank und würfelte ein paar Zwiebeln.

Marthe hatte den Koffer nach oben gebracht und stand nun unsicher in der Küche. »Kann ich helfen?«

»Geh in den Garten und hole etwas Salat. Nein – lass mich das tun. Du kannst die Zwiebeln würfeln. Aber schneide wirklich feine Würfel.«

»Ich kann auch in den Garten gehen …«

»Pfff«, machte Grand-mère nur und eilte an ihr vorbei nach draußen.

Sie traut mir gar nichts zu, dachte Marthe und spürte die Wut in ihrem Bauch. Warum nicht? Ich gebe mir doch so viel Mühe, höre immer auf das, was sie sagt. Ja, ich bin nicht auf dem Land aufgewachsen, und nein, ich weiß oft nicht, warum man dies tut und jenes nicht, aber sie könnte es mir doch erklären.

Missmutig krempelte sie die Ärmel ihres Kleides hoch und nahm das Messer. Bei Maman und Grand-mère sah es immer so leicht aus. Sie nahmen das Gemüse – Zwiebeln, Karotten oder was auch immer zu schneiden war –, legten es auf das große Brett, nahmen das Messer und schnitten mit schnellen Bewegungen, fast fließend sah es aus. Das würde sie sicher auch hinbekommen. Doch das Messer, das Grand-mère immer benutzte, war lang und scharf. Es wurde regelmäßig gewetzt und eingeölt. Eigentlich durfte niemand außer ihr das Messer benutzen. Maman hatte ihre eigenen Messer, die sie in einer besonderen Tasche verstaut hatte. Die Tasche lag normalerweise oben unter ihrem Bett und sie hütete sie wie einen Schatz. Hatte sie die Tasche mit nach Paris genommen?, fragte sich Marthe nun und nahm das große und schwere Messer in die rechte Hand, die Zwiebel hielt sie mit der Linken. Mit einem forschen Schnitt halbierte sie die Zwiebel, so wie sie es bei Grand-mère beobachtet hatte. Dann legte sie die Hälften auf das Brett. Grand-mère schnitt die Zwiebel immer mit dem Messer von oben ein – in dünne Streifen. Aber sie machte es so, dass die Streifen nicht auseinander fielen. Dann schnitt sie zweimal waagerecht und schließlich senkrecht und somit entstanden die Würfel. Das ist nicht schwer, dachte Marthe.

Sie setzte das Messer an, wollte schnell und zügig schneiden, aber die Schneiderutschte von der glitschigen, frischen Zwiebelhaut ab.

Ich mache es langsam, sagte sich Marthe. Lieber langsam und sorgfältig, als schnell und grob. Grand-mère soll keinen Grund haben, mich zu schimpfen. Wieder nahm sie das Messer, setzte erneut an und schnitt beherzt zu. Anders als bei Grand-mère blieben die Streifen nicht in Form, sondern fielen auseinander. Dünn waren sie auch nicht. Marthe biss sich auf die Lippe und runzelte verzweifelt die Stirn.

»Was machst du da?«, fragte Julie, die aus der Waschküche kam, frisch duftend und noch mit feuchtem Haar. Sie lächelte ihre Tochter an.

»Ich soll die Zwiebeln würfeln. Fein würfeln. Aber … es gelingt mir nicht.« Marthe wischte sich mit der Rückseite ihrer Hand über die Augen. Es waren ganz sicher die Zwiebeln, die sie zum Weinen brachte.

»Schau, du hast die Zwiebel falsch geteilt. Siehst du das hier?« Julie nahm eine neue Zwiebel, schälte mit einer schnellen und sicheren Bewegung die äußere Schale ab. »Hier ist die Wurzel und auf der anderen Seite wächst der Stiel. Du muss sie durch beides hinweg teilen und nicht in der dicken Mitte.«

»Ach?«

»Ja.« Julie lächelte. »Und dann legst du die Hälfte so hin und schneidest von der Mitte bis zur Wurzel – aber nicht ganz. Ein ganz kleines Stück lässt du stehen. So hält es zusammen, siehst du?« Sie zeigte es langsam und sorgfältig. »Und jetzt du.«

Marthe nahm die andere Hälfte des Gemüses, versuchte genauso zu schneiden, wie es ihr ihre Mutter gezeigt hatte. Es gelang ihr fast.

»Das hast du schon ganz gut gemacht. Für das erste Mal war es sogar sehr gut.« Julie nahm das Messer. »Und jetzt schneidest du waagerecht hindurch – einmal, das reicht schon. Siehst du – so geht das.«

Wieder folgte Marthe dem Beispiel ihrer Mutter.

»Du darfst auch jetzt nicht bis ganz zum Ende schneiden. So hält das Wurzelstück alles noch zusammen.«

»Ich verstehe«, murmelte Marthe.

»Und nun kannst du die Würfel schneiden – von oben, so fein und so dünn wie möglich. Schau, es ist eigentlich ganz einfach.«

»Wenn du es machst, sieht es so leicht aus.« Marthe biss sich wieder auf die Lippe und versuchte sich zu konzentrieren. Ihre Würfelchen waren gröber als die der Mutter, aber es sah schon ganz anders aus, als beim ersten missglückten Versuch.

»Das ist die Übung«, sagte Julie. »Ich werde hochgehen und meine Haare richten. Kommst du nun allein zurecht?«

»Ja, ich glaube schon.« Martha schob die Zunge zwischen ihre Zähne, nahm die nächste ...