: Sia Piontek
: Die Sehenden und die Toten Kriminalroman
: Goldmann
: 9783641309091
: Ein Carla-Seidel-Krimi
: 1
: CHF 5.60
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 416
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Du hast die Vergangenheit hinter dir gelassen. Doch sie holt dich gnadenlos ein ...
Die ehemalige Mordermittlerin Carla Seidel hat sich von Hamburg ins idyllische Wendland versetzen lassen. Dort wagt sie mit ihrer hochsensiblen Tochter Lana in einem alten Fachwerkhaus einen Neuanfang. Doch dann wird der 18-jährige Justus tot aufgefunden, seine Augen auf grausame Weise durch Spiegelscherben ersetzt. Carla übernimmt den Fall und hat schnell das ungute Gefühl, dass niemand, nicht einmal die Eltern, Justus richtig kannte. Als Lana bei einer Mitschülerin ein Tattoo entdeckt, das der tote Junge als Narbe auf seinem Oberschenkel trug, überschlagen sich die Ereignisse, und Carla wird klar: Die Vergangenheit holt dich immer ein ...

Sia Piontek ist das Pseudonym einer ehemaligen Verlagsprogrammleiterin, die bereits mehrere Romane veröffentlicht hat. »Die Sehenden und die Toten« ist der Auftakt ihrer im Wendland angesiedelten Kriminalromanreihe um die Ermittlerin Carla Seidel. Wenn sie nicht gerade schreibt, arbeitet Sia Piontek als Schreibcoach und freie Lektorin. Sie lebt mit ihrer Tochter in Hamburg und im Wendland.

KAPITEL 1


»So ein Mist«, fluchte Carla und stieg genervt von der Leiter. Das hätte ihr der Immobilienmakler vor zwei Jahren aber auch mal sagen können, dass man diesen elenden Kirschlorbeer, der sich über gut zwanzig Meter an der Ostseite ihres Grundstücks erstreckte und damit einen willkommenen Sichtschutz zum Nachbarhaus bildete, mindestens zweimal im Jahr zurückschneiden musste. Jetzt war mit ihrer kleinen elektrischen Heckenschere kein Durchkommen mehr. Die Äste waren einfach zu dick. Und überhaupt war die ganze Hecke nicht nur in die Höhe, sondern auch viel zu sehr in die Breite gewachsen. An die Wucherungen in der Mitte kam sie selbst mit ihrer Leiter nicht mehr ran. »Idiot«, schimpfte sie und meinte damit vielleicht nicht nur den Makler.

Eigentlich liebte sie dieses Vierständerfachwerkhaus, das sie vor gut zwei Jahren hier im Niemandsland zwischen Hitzacker und Dannenberg, keine hundert Meter von den Elbtalauen entfernt, für ein kleines Vermögen erstanden hatte. Und sie war bereit, aus der Großstädterin in ihr, die Kino, Bars, Restaurants und ein funktionierendes Abwassersystem zu schätzen wusste, eine echte Landfrau zu machen, die mit dem riesigen Grundstück und dem zugigen Haus problemlos klarkam und Sickergruben auch viel ursprünglicher fand. Aber manchmal stieß sie bei dieser Transformation eben auf Grenzen. So wie jetzt.

Sie fasste die schweißnassen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Zum Friseur müsste sie auch dringend. Auf die blonden Strähnchen in ihrem halblangen braunen Haar konnte sie hier gut verzichten, aber sie hielt es nicht aus, wenn die Haare bei dieser Hitze im Nacken festklebten. Obwohl es erst halb zehn war, brannte die Sonne bereits gnadenlos heiß von dem blauen Wendland-Himmel.

Sie beschloss, schnell in den Baumarkt zu fahren und sich eine vernünftige Heckenschere mit Akku zu kaufen. Die drei Kabeltrommeln, mit denen sie bislang den Strom vom Haus bis zu ihrer Grundstücksgrenze verlängert hatte, erschienen ihr nicht effizient und die Gefahr, dass sie das Kabel im Eifer des Gefechtes irgendwann durchsäbelte, zu groß.

Gerade als sie Schere und Gartenhandschuhe auf den Terrassentisch legte, kam der schwarz-weiße Streunerkater Karlchen auf sie zugetapst.

»Na«, sagte sie und bückte sich, »dich habe ich ja lange nicht gesehen. Sind wir mal wieder an der Reihe?« Da niemand wusste, wo das Tier genau herkam, war er irgendwann zum Gemeinschaftskater von ganz Penkefitz geworden. Ihm schien diese Rolle zu gefallen. Sie streichelte ihn kurz, stand auf und betrat dann den geräumigen Wohn-Ess-Bereich, den Ort, den Carla in diesem Haus am meisten liebte. Der Boden war komplett mit Terrakottafliesen in einem warmen Rotton ausgelegt, und wegen der bodentiefen Fenster und Türen war der Raum lichtdurchflutet. Neben der modernen hellgrauen Einbauküche befand sich das Herzstück des Raums – ein heller Holzesstisch, der für sie und ihre Tochter Lana viel zu groß war, der Carla aber das Gefühl von Gastlichkeit und Gemeinschaft gab. Außerdem roch er so h