Prolog
2003
Stockport Plaza Theatre
Das Nummer-eins-Medium von Wythenshawe!, verkündete das Poster auf einer Staffelei auf der Bühne die Vorstellung des heutigen Abends: eine Hellseherin namens Queenie Mook. Der Name war derart absonderlich, dass er unmöglich erfunden sein konnte.
»Fragt sich, wer das entscheidet«, meinte Roisin. »Als so was wird man wohl kaum … akkreditiert.«
Mit ihren zwölf Jahren war sie stolz auf das Wort »akkreditiert«.
Mit zusammengezogenen Brauen sah ihre Mutter sie unter den Lancôme-schwarzen Wimpern an; sie witterte einen Aufstand.
Mit der Erlaubnis, ihre Mutter zu dem Abend mit den Freundinnen zu begleiten, war eine Warnung an Roisin erfolgt.
»Du brauchst gar nicht erst mitkommen, wenn du bloß wieder klugscheißt, das ist Diana und Kim gegenüber unhöflich«, hatte ihre Mum gesagt. »Rodney, der Vater von Di, ist im vergangenen November an einer akuten Bauchspeicheldrüsenentzündung gestorben, und sie hofft, dass er sich meldet.«
»Klar«, sagte Roisin, auch wenn sie es für wenig erfolgversprechend hielt, Queenie Mook als Vermittlerin ins Jenseits zu bemühen. Ihrem Werbeprospekt zufolge arbeitete sie hauptsächlich auf Kreuzfahrtschiffen.
»Seitdem herrscht Chaos bei ihnen. Rod hatte sich bis zuletzt um die Finanzen der Rohrreinigungsfirma gekümmert.« Bei Lorraine klang es so, als hätte Diana eine drängende praktische Frage:Wo ist die Umsatzsteuererklärung von2001? – oder so.
Es gab zwei Gründe, weshalb Roisin dabei sein wollte: Einerseits interessierte es sie, wie ein Medium funktionierte, zweitens war es ein aufregendes Abenteuer. Ihre Mutter war in ein Kraftfeld Shalimar von Guerlain getränkt, ihr Haar im Friseursalon zu einer Löwenmähne geföhnt worden, das Satinkleid spannte über ihren Hüften, und dazu trug sie transparente Strumpfhosen und High Heels aus Lackleder.
Es machte Spaß, bei solchen Gelegenheiten Teil des Orbits ihrer Mutter zu sein und zu sehen, wie sich die Leute nach ihr umdrehten. Roisin kam sich vor wie die persönliche Assistentin einer Prominenten. Sie nahmen von Webberley aus ein Taxi, und Lorraines parfümierter Hexenzirkel verlangte vom Fahrer, dass er Lionel RichiesAll Night LongBITTE LAUTER stellte.
In fünfzehn Minuten sollte sich der Vorhang heben. Wegen diverser Karaffen Rosé, die sie beim vorangegangenen Abendessen in der Brasserie vernichtet hatten, wurde von allen noch einmal eilig die Damentoilette aufgesucht.
Den Anfang machte Lorraine, danach folgten gemeinsam Di und Kim.
»Musst du nicht pinkeln?«, fragte ihre Mum, nachdem sie ihren Schmollmund eine Minute lang von allen Seiten im Klappspiegel des Make-up-Döschens gemustert hatte. Flüchtig fragte sich Roisin, ob Lorraine sie aus dem Weg haben wollte. Um ein heimliches Telefonat zu führen vielleicht? Ihre Eltern hatten Geheimnisse, und Roisin war immer hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, ihnen auf den Grund zu gehen, oder lieber nichts zu wissen.
»Nö.«
»Hm. Ich denke, du solltest besser noch mal gehen. Wir sitzen ganz in der Mitte, und es wird bestimmt voll.«
Roisins Ahnung, dass ihre Mutter einen Hintergedanken hatte, verstärkte sich. Aber es war einfacher, nachzugeben, also stand sie auf und machte sich auf den Weg zur Toilette. Alle Kabinentüren waren geschlossen. Als sie sich auf die kalte Klobrille setzte, vernahm sie die Geräusche, die die anderen machten.
Spülen. Türenschlagen. Wasserhahnrauschen. Spülen. Türenschlagen. Wasserhahnrauschen.
»So wie Lorraine beim Pinot Rosé zulangt, wird sie wohl nicht länger ein Kind erwarten, oder?«, sagte die körperlose Kim.
Einen winzigen Augenblick lang dachte Roisin, die beiden sprächen über sie.
»O nein. Sie hat es wegmachen lassen. Vor zwei Wochen schon.«
»Hat sie Glen nichts davon erzählt?«
Glen? Roisins Dad hieß Kent. (Er war Wirt eines Pubs, und sein Superman-Name Kent bereitete jenen Gästen, die er hinauswarf, besondere Freude.)
»Du lieber Himmel, nein. Sie meint, das ändert auch nichts. Er würde nicht wollen, dass sie es behält, und ihr reichen zwei. Wer hat schon Lust, nachts wieder zum Stillen aufzustehen.«
»Was ist mit Kent? Wusste er davon?«
»Das bezweifle ich. Solange du nicht nachfragst, musst du dich auch nicht mit unangenehmen Wahrheiten auseinandersetzen.«
»Hm. Sie sollte besser aufpassen.«
»Sie sagt, sie hat im Fox& Hounds ein nicht ganz koscheres Omelett gegessen und die Pille ausgekotzt. Sie hatte gar nicht mehr daran gedacht.«
»Weißt du, ich habe das Essen im Fox schon länger im Verdacht. Ich hatte dort mal einen Krautsalat, der hat nach Thunfisch geschmeckt. Ich schwöre, davon habe ich Dünnschiss gekriegt.«
Was darauf folgte wurde vom Gebläse des Handföhns übertönt, bis Roisin wieder hörte: »… macht ja auch, was er will. Sie und Kent sind wie zwei unbekümmerte Teenager.«
»Hm, na ja. Immerhin ist sie die eine Sorge jetzt l