Erstes Kapitel
»Wachen Sie auf, Siemen! Wachen Sie auf.«
Der Störenfried war mitten in der Nacht in meine Wohnung eingedrungen, hatte meinen Wecker mit voller Lautstärke an mein Ohr gehalten und mich schließlich dadurch aus meinem Tiefschlaf gerissen, dass er mich immer wieder unerbittlich bei Namen rief.
Schließlich erkannte ich den nächtlichen Besucher. Es war Julius Frankenberg, unser gealtertes Hagensmoorer Theater-Wunderkind, mit seiner hohen braunen Stirn, seinen zynischen klugen Augen und seinem schmalen ehrgeizigen Mund.
»Sie sind betrunken«, sagte ich verbittert, »feiern Sie woanders weiter, aber gefälligst nicht hier.«
Frankenberg hatte Grund genug, zu feiern. Erst vor ein paar Stunden hatte ich ihn imHafenhaus verlassen, wo er an die zwanzig Personen zu Gast hatte. Der Champagner floss in Strömen, und Frankenberg konnte hinsichtlich der Freude über die erfolgreiche Premiere seines neuen Stückes kein Ende finden.Wie eine Katze am Sonntag war ein brillantes Lustspiel, und die Begeisterung der Zuschauer zeigte, dass Frankenberg damit einen Riesentreffer gelandet hatte; fraglos würde er mit diesem Stück mindestens durch ganz Norddeutschland auf Tournee gehen. Zwei der wichtigsten Theaterkritiker aus Emden und aus Hamburg waren bis zum Schluss der Vorstellung geblieben und dann noch immer amüsiert lachend weggegangen, was genug über die Qualität des Stückes aussagte. Ich hatte Frankenbergs Gesellschaft als einer der ersten verlassen, um zu Bett zu gehen, weil ich schon früh am Morgen einen Gerichtstermin wahrnehmen musste.
»Wie viele Schlaftabletten haben Sie diesmal eingenommen?«, fragte Frankenberg, nachdem er mich erfolgreich geweckt hatte.
»Die übliche Dosis. Warum?«
»Weil ich mich zwanzig Minuten lang bemüht habe, Sie telefonisch zu erreichen, bevor ich hergekommen bin. Ich sagte dem Hausmeister, es sei äußerst dringend, und er ließ mich ein.« Frankenberg griff nach meinen Hosen und warf sie mir aufs Bett. »Ziehen Sie sich an.«
»Zu dieser Zeit? Nicht um alles in der Welt.«
»Sie müssen sich an die Arbeit machen.«
»Nein, mein Lieber.« Ich wurde ernst. »Ich bin ein Anwalt, kein Arzt. Mein Stand verpflichtet mich keineswegs, vierundzwanzig Stunden am Tag zur Verfügung zu stehen. Seien Sie ein guter Junge, Frankenberg. Gehen Sie zu Ihrer Feier zurück und lassen Sie mich weiterschlafen.«
»Mit der Feier ist’s aus und vorbei«, sagte er trocken. »Lorenz Westermann sitzt im Gefängnis.«
»Was sagen Sie da?«
»Lorenz ist im Gefängnis. Hinter Gittern! Eingesperrt, verhaftet!«
Ich starrte ihn an. Lorenz Westermann war in Frankenbergs Stück der Star, ein hübscher Junge mit einem ungewöhnlichen Sinn für Publikumswirkung, den er seiner Tätigkeit in verschiedenen Nachtclubs verdankte. Zwei Filme hatten ihn in ganz Deutschland bekannt gemacht und den Beweis geliefert, dass er ein echter Komiker von wirklicher Begabung war. Die Filmgesellschaft hatte ihn dennoch fallen lassen, aber daran waren Lorenz' unberechenbare Launen schuld.
Jetzt war ich hellwach und sah Frankenbergs müde Augen in seinem nervösen Gesicht.
»Verhaftet? Aus welchem Grund?«
»Wegen tätlichen An