1. KAPITEL
Beruhigend strich Eli Dalton seiner trächtigen Stute über die Flanke. Im Stall roch es nach Leder, frischem Stroh, altem Holz und vor allem nach dem Schnee, der draußen in dichten Flocken fiel.
Besorgt betrachtete er die schwer atmende Stute. Er war mit Pferden aufgewachsen und hatte viele Geburten miterlebt, aber hier schien etwas nicht zu stimmen. Die Sorge um das Wohlergehen der Pferde der Circle D Ranch lag ihm im Blut, aber Amber war ein ganz besonderer Fall. Die Stute war ein wilder Mustang gewesen, den er selbst gezähmt hatte, und er wollte sie auf keinen Fall verlieren. Oder ihr Fohlen.
Er stand auf und ging zur Stalltür, um die Lage einzuschätzen. Inzwischen waren fast zehn Zentimeter Schnee gefallen. Normalerweise gab es hier genügend Leute, die er hätte um Rat fragen können. Aber dieses Wochenende waren alle ausgeflogen – seine Eltern besuchten mit seinem Bruder Derek und seinen Cousins in Missoula eine Landwirtschaftsmesse.
Er hörte Amber wiehern und drehte sich zu ihrer Box um. Die Stute hatte sich hingelegt – das war auf keinen Fall normal. Er lief zu ihr, strich ihr über den Bauch und blickte in ihre weit aufgerissenen Augen. Keine Frage, hier musste ein Tierarzt helfen.
„Du weißt aber schon, dass deine biologische Uhr tickt, oder?“
Hadley Strickland strich sich das lockige, dunkelbraune Haar aus der Stirn und blickte sich in der Küche um, als suche sie einen Notausgang. Wie konnte sie diesem Gespräch am schnellsten entkommen?
Ihre Schwester Tessa besuchte eine Woche vor dem langen Thanksgiving-Wochenende wie Hadley ihre Großeltern in Rust Creek Falls. Und leider kannte sie keinerlei Zurückhaltung, wenn es darum ging, Hadley über ihr Liebesleben auszuquetschen. Seit Tessa selbst glücklich liiert war, war es noch schlimmer geworden. Zum Glück war Claire, die dritte Schwester im Bunde, gerade nicht in der Küche, sonst wäre Hadley von beiden Seiten unter Beschuss geraten.
Hadley blickte hilfesuchend zu ihrer Großmutter Melba Strickland hinüber, die Matriarchin der Familie. Leider war sie bei diesem Thema auch keine Hilfe, denn sie fragte prompt: „Bist du in den letzten Monaten überhaupt mal ausgegangen?“
Nein, war sie nicht, aber sie hatte auch keine Zeit dafür. In der Tierklinik in Bozeman, in der sie arbeitete, machte sie oft Überstunden, weil sie andere Tierärzte selbst dann vertrat, wenn sie gar nicht dran war. Danach las sie bis spät in die Nacht die neuesten Studien in den Veterinärzeitschriften – und nebenher machte sie ihren Pilotenschein. Ganz abgesehen davon ging ihr Privatleben niemanden etwas an.
„Ich habe überhaupt keine Zeit für eine Beziehung“, erwiderte sie deshalb wahrheitsgemäß.
Irgendwann einmal wollte sie ihre eigene Praxis haben, aber im Augenblick war ihr nächstes Ziel der Pilotenschein, damit sie in abgelegene Gebiete fliegen konnte, um Tieren zu helfen. Irgendwann würde sie alles erreichen, was sie sich wünschte, das wusste sie. Aber genauso sicher war sie sich, dass eine Beziehung nicht dazugehörte. Ihre Familie kannte ihr Geheimnis nicht – zum Glück, denn dieses Geheimnis war ihr überaus peinlich und zeigte nur, wie dumm eine Frau sein konnte, wenn sie sich unsterblich in einen Mann verliebte.
Wie immer gab sich Tessa mit ihrer „Ausrede“, wie sie es nannte, nicht zufrieden, und Hadley wappnete sich für die nächste Runde, als das Handy an ihrem Gürtel vibrierte und sie damit rettete. Dankbar zog sie es aus der Hülle, lächelte ihrer Schwester und Großmutter entschuldigend zu und blickte aufs Display.
„Das ist Brooks Smith“, murmelte sie. Er war der Tierarzt in Rust Creek Falls, und sie sah immer in seiner Praxis vorbei, um mit ihm über die neuesten Erkenntnisse der Tiermedizin zu sprechen, wenn sie in der Gegend war. Manchmal half sie ihm sogar aus. Vielleicht wollte er sich mit ihr treffen. Seine Frau und er führten einen Gnadenhof für Pferde, und Hadley war von ihrer Arbeit fasziniert.
„Hi, Brooks“, sagte sie, als sie den Anruf annahm.
„Hey, Hadley. Wie geht’s dir?“
„Prima. Was gibt’s?“
„Ich muss dich um einen Gefallen bitten.“
„Immer gern. Was kann ich tun?“
„Ich stecke hier gerade auf ei