: Hera Lind
: Das einzige Kind Roman nach einer wahren Geschichte | Ein Tatsachenroman der Nr.-1-Spiegel-Bestseller-Autorin | Das herzergreifende Schicksal eines kleinen Kriegswaisen
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426463543
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 416
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Herzergreifend und Hoffnung spendend: die wahre Geschichte des kleinen Djoko, der während des 2. Weltkriegs ganz allein quer durch Europa flieht - mitfühlend erzählt von Nummer-1-Bestseller-Autorin Hera Lind. Oktober 1940 im ehemaligen Jugoslawien: In einer entlegenen Gegend führt der 5-jährige Djoko mit seinem bärenstarken Vater und seiner jungen  Mutter ein einfaches, aber glückliches Leben in einem kleinen Dorf. Bis die faschistische schwarze Armee der Ustashas auftaucht und Djokos Welt im Bruchteil einer Sekunde zerstört. Eine Granate fällt in die winzige Hütte und macht ihn zum Vollwaisen.  Der kleine, schwerverletzte Junge robbt sich mit letzter Kraft aus den Trümmern ins Freie. Für ihn beginnt eine Flucht, die ihn mutterseelenallein mitten durch die schlimmsten Kriegswirren über tausend Kilometer bis nach Österreich führt. Wie durch ein Wunder findet er immer wieder in letzter Sekunde ein mitfühlendes Herz, eine helfende Hand. Anrührend erzählt Hera Lind in ihrem Tatsachenroman eine wahre Geschichte von größten Gefahren - und der nie versiegenden Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Das Schicksal des kleinen Djoko ist nur ein Beispiel für etwa 250.000 Vollwaisen, die während des 2. Weltkriegs auf sich allein gestellt um ihr Überleben kämpfen mussten.

Hera Lind studierte Germanistik, Musik und Theologie und war Sängerin, bevor sie mit zahlreichen Romanen sensationellen Erfolg hatte. Mit ihren Tatsachenromanen, die alle auf wahren Geschichten beruhen, erobert Hera Lind immer wieder verlässlich die vordersten Plätze der SPIEGEL-Bestsellerliste. Hera Lind lebt mit ihrer Familie in Salzburg.

Irgendwo bei Sokolice, ehemaliges Königreich Jugoslawien, Landesteil Bosnien,
Frühling1939


Nebenan machte sich meine Mame schön. Sie bemerkte mich nicht, während sie ihre langen schwarzen Haare mithilfe eines Handspiegels betrachtete und sich mit nacktem Oberkörper hin und her drehte. Ihre Mähne glänzte noch feucht, sie hatte sie im Bach gewaschen und wrang sie gerade auf der Türschwelle unserer Behausung aus. Neugierig lugte ich um die Ecke in unserem aus Lehm und Stroh erbauten Hüttchen, das in der Einsamkeit irgendwo im Nirgendwo lag.

Die Mame hatte mich auf das Strohlager im dunklen steinernen Nebenraum gesetzt, ich kleiner Knirps war wie immer nur mit einem Hemdchen bekleidet, unten herum war ich nackt. Das sparte Mame viel Arbeit, aber es war damals auf dem Lande im ehemaligen Jugoslawien absolut üblich. Alle kleinen Dreckspatzen liefen so herum. Ich war vielleicht drei oder vier Jahre alt.

»Djoko! Schlaf, Bub! Die Augen zu!« Mame wirbelte zornig herum, sie fühlte sich ertappt. Ausnahmsweise trug sie kein Kopftuch, weshalb ich nicht aufhören konnte, ihre langen Haare fasziniert anzustarren. Sie sah aus wie eine schöne Märchenfee, was nicht immer zu ihrem unberechenbaren Temperament passte.

»Aber ich kann nicht mehr schlafen, es ist ja schon heller Morgen!«

»Djoko, du sollst schlafen, habe ich gesagt! Ich will meine Ruhe haben!«

»Mame, darf ich auch einmal hineinschauen?« Ich war genauso dunkeläugig und dunkelhaarig wie Mame und hätte gern mal einen Blick in das blinkende Zauberding geworfen.

»Nein, das ist nichts für kleine Rotzbuben! Du machst mir den Spiegel noch kaputt!«

Unwirsch schickte sie mich wieder in meinen winzigen Verschlag aus Stroh. »Wenn du jetzt nicht schläfst, gibt es Ärger. Später musst du nämlich weit laufen, Djoko, und denk ja nicht, dass dich der Tate trägt!«

»Wo gehen wir denn hin?«

»Wenn Tate vom Dreschplatz zurückkommt, gehen wir zu deinen Großeltern. Aber jetzt gib Ruhe, sonst setzt es was.«

Tate war mein Vater, ein kräftiger, sehniger Mann, vielleicht zweiundzwanzig. Mame war sicher noch keine zwanzig.

Doch an Schlaf war nicht zu denken. Ich war viel zu aufgeregt! Endlich war der lange einsame Winter vorbei, in der völligen Abgeschiedenheit, in der Mame, Tate und ich auf dem winzigen kleinbäuerlichen Anwesen lebten. Mein stolzer, schöner, großer Tate hatte mit seinen Männern im Wald Wölfe gejagt, meine zierliche, mädchenhafte Mame hatte sich aus Angst vor wilden Tieren mit mir und unserer Dalmatinerhündin Cuja tage- und nächtelang in der dunklen Lehmhütte verschanzt. Aber nun stand die Tür zur grünen Wiese wieder weit offen, draußen gluckerte und plätscherte der liebliche Bach, die Vögel zwitscherten, die Blumen blühten, unsere drei Schafe, das Schwein und die Kuh grasten auf der Weide, und die kinderreiche Nachbarsfamilie, die jenseits des Baches wohnte, wusch unter lautem Hallo und Geschrei ihre Wäsche und sich selbst gleich mit.

Wie sollte ich da schlafen! Es war doch schon heller Tag! Aufgeregt buddelte ich mich auf meiner Schlafstelle im Stroh ein und warf die würzig riechenden Halme übermütig spielend in die dunkle Luft unserer stickigen kleinen Hütte.

Vor dem winzigen Fenster, in das die Morgensonne hereinschien, tanzten die Staubkörner, und ich musste husten.

»Still, Djoko! Du gehst mir auf die Nerven!«

Plötzlich raschelte etwas im Stroh, und ein glitschig-feuchter schwarzer Kriechtierleib züngelte zischend knapp an meinem nackten Gesäß vorbei.

»Mameeee! Eine Schlange!« Ich schrie wie am Spieß.

Mit einem Satz war Mame bei mir, riss mich am Schlafittchen von meiner kratzigen Schlafstätte und zerrte mich in den winzigen Wohnraum, wo sie mit dem milchigen Spiegel ein ausführliches Zwiegespräch hatte halten wollen.

»Dass du aber auch immer so einen Unsinn machst, Djoko!« Statt mich zu trösten, ließ sie eine schmale Weidenrute auf mein nacktes Hinterteil sausen. »Das werde ich dem Tate erzählen, dann gibt es Haue obendrein!«

»Au, Mame, au!« Vor Schmerzen trappelte ich barfuß auf dem lehmigen Steinboden herum.

Ich hatte es doch nicht mit Absicht gemacht! Die Schlange hätte mich fast gebissen!

»Was habe ich dir ge