PROLOG
Für die meisten Wiener ist der Besuch des Flohmarkts an der Kettenbrückengasse nichts weiter als eine flüchtige Begegnung, ein kurzes Abtauchen in eine andere Welt, die von schmuddeligen Büchern, Postkarten oder anderem Trödel dominiert wird. Doch nicht für Peter Hogart. Für ihn war der Flohmarkt ein nostalgischer Ruhepol, wo er nahezu jeden Sonntag seinen eigenen Stand aufstellte, um der Routine seines Berufs zu entfliehen. An diesem Tag konnten ihn seine Auftraggeber kreuzweise. Er hatte die Nase voll von den vertrackten Betrugsfällen, mit denen ihn die Versicherungsriesen der Stadt betrauten, wenn ihre eigenen Spürnasen keine Fortschritte erzielten.
Andere Leute versuchten es mit Yoga, Spaziergängen oder Aquarellmalerei, doch Hogart entspannte sich am besten, wenn er mit Autogrammen und Filmplakaten aus den Fünfzigerjahren handelte oder Jazz-Singles mit speckigen Hüllen auf der Verkaufsfläche seines Standes platzierte. Seit einem halben Jahr versuchte er auch, die Edgar-Wallace-Videosammlung seines Bruders zu verkaufen, und reduzierte den Preis Woche für Woche um ein paar Cent. Doch niemand interessierte sich für die Kassetten. Letztendlich ging es ihm auch gar nicht darum, das große Geld zu verdienen, was mit diesen Raritäten – andere nannten sie Krempel – ohnehin nicht möglich war. Er suchte den Kontakt zu anderen Verrückten, die ihre Freizeit in den engen Reihen zwischen Hunderten Ständen verbrachten – besonders an einem heißen Frühlingstag wie heute, wenn die Luft über dem Asphalt flimmerte.
Hogarts Sonnenbrille steckte in seinem langen, dunklen Haar, wobei der silberne Rahmen perfekt zu den mittlerweile grau melierten Schläfen passte. In den Sandalen, Jeans und dem ausgewaschenenJazzland-T-Shirt wirkte er nicht wie ein freiberuflicher Versicherungsdetektiv, sondern wirklich wie jemand, der jede freie Minute in Antiquariaten und auf Tauschbörsen verbrachte, sich auf Kurzfilmfestivals herumtrieb und gelegentlich Artikel über die Kunstszene verfasste. Doch von echter Kunst verstand er nicht viel. Diese Abteilung befand sich eine Reihe weiter, wo sich Jugendstilvasen, barocke Bilderrahmen und handgeschnitzte Jesusstatuen aneinanderreihten. Dort wurden oft Preise bis zu eintausend Euro ausgehandelt, und dementsprechend sah auch das Publikum aus, das sich normalerweise in dieser Ecke herumtrieb. Ganz und gar nicht passte allerdings der Junge mit den strohblonden Haaren, den Sommersprossen und den geflickten Shorts dazu. Der zehnjährige Knirps konnte sich bestimmt keinen Biedermeiertisch leisten. Trotzdem zwängte er sich schon seit Minuten zwischen den Leuten hindurch, während sein Blick immer wieder von einem bestimmten Tresen zum Standbesitzer wanderte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er etwas klauen würde. Der Platz war optimal. Ein paar Meter weiter begann der Treppenabgang zur U-Bahn-Station. Von Weitem hörte man die Waggons heranscheppern, da