: Christian White
: Insel des Schweigens Thriller
: Goldmann
: 9783641269241
: 1
: CHF 8.80
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Am Flughafen von Melbourne wartet Kate auf die Ankunft ihres Ehemannes John. Vergeblich. Von seinen Kollegen muss Kate erfahren, dass er bereits vor Monaten gekündigt hat. John scheint wie vom Erdboden verschluckt. In der verzweifelten Hoffnung, ihn in ihrem Ferienhaus auf Belport Island zu finden, reist Kate auf die einsame, stürmische Insel.
Auf Belport Island macht eine weitere Frau, Abby, eine erschütternde Entdeckung über ihren Mann. Und als ihre und Kates Welt aufeinanderprallen, drohen die dunklen Geheimnisse der kleinen Insel auch die beiden Frauen in den Abgrund zu ziehen ...

Der gebürtige Engländer Christian White ist ein international ausgezeichneter Drehbuchautor. Sein Romandebüt »Das andere Mädchen« wurde in seiner australischen Wahlheimat zum Überraschungsbestseller. Christian lebt mit seiner Frau in Melbourne und schreibt bereits an seinem nächsten Thriller.

1

– Die Witwe –

Kate Keddie stand in der Flughafentoilette und probte ihr Lächeln im Spiegel. Sie konnte ihren Mund nicht ausstehen, weil er mehrere Zähne zu breit für ihren Kopf war und sie wie eine Geisteskranke aussah, wennsie lachte. Sie versuchte es mit einem vorsichtigen Heben der Mundwinkel. Wohldosierte Zurückhaltung, das war das Ziel. Stattdessen bekam sie Shelley Duvall auf Crystal Meth.

»Was machst du mit deinem Gesicht?«, fragte Kates zehnjährige Tochter Mia, die aus einer der Kabinen neben sie getreten war, um sich die Hände zu waschen. Mia hatte sich die Schnur eines herzförmigen »Willkommen zu Hause«-Luftballons ums Handgelenk gebunden, der nun wie eine Boje über ihrem Kopf schwebte.

»Gar nichts«, antwortete Kate.

»Wie lange dauert es noch, bis Daddy wieder da ist?«

»Zehn Minuten bis zur Landung, dann rollt die Maschine in Parkposition, danach muss er sein Gepäck holen, durch den Zoll … alles in allem müssen wir mit etwa sechzehn Stunden rechnen.«

»Du machst mich fertig, Mum.« Mia stampfte frustriert mit den Füßen auf. Sie war noch nie so lange von ihrem Vater getrennt gewesen und deshalb so hibbelig wie sonst nur am Weihnachtsmorgen.

John hatte die vergangenen zwei Wochen bei einem Kongress für Palliativmedizin in London verbracht; unterdessen hatte Kate mit dickem rotem Filzstift die Tage abgehakt und es kaum erwarten können, dass er endlich nach Hause kam. Sie hoffte, dass das Klischee, eine Trennung schüre die Sehnsucht, auch auf John zutraf. Gleichzeitig fürchtete die Pessimistin in ihr, es könnte gerade umgekehrt funktionieren. Irgendwo hatte sie gelesen, dass zwei Wochen genügten, um mit einer Gewohnheit zu brechen, und eine Ehe war schließlich der Inbegriff der Gewohnheit.

Kate nahm Mia bei der Hand und machte sich auf den Weg zum Terminal. Im Ankunftsbereich des Melbourne International Airport wimmelte es von Menschen. Familien warteten mit handgeschriebenen Transparenten, ohne die gefrosteten Glastüren aus den Augen zu lassen, hinter ihnen Chauffeure in schwarzen Anzügen mit kleinen Täfelchen, auf denen die Namen ihrer Fahrgäste gekritzelt standen. Von den Wartenden ging eine kollektive Energie aus, die sie eher wie ein homogener Organismus statt eine Ansammlung aus mehreren Hundert Individuen wirken ließ. Alle bewegten sich auf eine vorsichtige, nervös aufeinander abgestimmte Weise, wie das Kettenband einer Planierraupe.

Jeden Moment musste John mit seinem kleinen blauen American-Tourister-Trolley im Schlepptau herauskommen, mit blutunterlaufenen Augen und müdem Gesicht von dem langen Flug, aber dann würde er sie in der Menge ausmachen und verblüfft strahlen, weil er nicht mit ihnen gerechnet hat