: Hannelore Schlaffer
: Anne Hamilton
: Rüpel und Rebell Die Erfolgsgeschichte des Intellektuellen
: zu Klampen Verlag
: 9783866747173
: zu Klampen Essays
: 1
: CHF 13.60
:
: Essays, Feuilleton, Literaturkritik, Interviews
: German
: 192
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Viel ist über den Intellektuellen in seiner Rolle als Wortführer des Geistes geschrieben worden. Sein Stil und Gebaren aber wurden dabei kaum gewürdigt. Hannelore Schlaffers Essays rücken sie ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Hannelore Schlaffer,geboren 1939, lebt als freie Schriftstellerin und Publizistin in Stuttgart. Von 1976-1978 war sie Lektorin in Paris, seit 1982 hat sie eine außerplanmäßige Professur für Neuere deutsche Literatur an den Universitäten Freiburg und München inne. Seit 1980 schreibt sie regelmäßig für Tageszeitungen und Rundfunkanstalten. Sie hat Bücher und zahlreiche Aufsätze vor allem zur Literatur der deutschen Klassik und Romantik sowie mehrere Essaybände vorgelegt.

Übersetzung ins Deutsche


Goethe, der Neffe des Neffen


Wie kam es, dass Goethe das Manuskript des Dialogs mit Begeisterung las und übersetzte? Hatte er in Rameaus Neffen den Umriss der Figur erahnt, die Hegel zu interpretieren verstand: die Verkörperung des »zerrissenen Bewusstseins«? Hegels Deutung trägt dem Schöpfer dieser Figur, Diderot, in Frankreich immerhin den zweifelhaften Ruhm ein,deutschen Geistes zu sein. »Diderot«, so schreibt sein Biograph Pierre Lepape, »ragt in allen Teilen über den Rationalismus der französischen Aufklärung hinaus (…). Er war metaphysisch, wie man es in Paris, London oder Ferney nicht mehr war, wohl aber in Jena, Weimar oder Königsberg.« Lepape lässt mit denphilosophes eine neue Epoche beginnen, von der an bis zu Sartre und Derrida ein geistiger Austausch zwischen Deutschland und Frankreich florierte.

Goethe vermochte die welthistorische Bedeutung von Diderots Figur zu erkennen, weil er selbst ein Neffe Rameaus war, offensichtlich in seiner Jugend, geheim und verborgen und nur in seltenen Momenten eingestanden auch noch im Alter. Am Ende seiner Karriere wurde er zwar nicht, wie es sich der Neffe wünschte, Mönch, wohl aber Minister. Seine scheinbare Abkehr von der Familie der Kyniker besiegelte er mit »Dichtung und Wahrheit«, der Autobiographie, die in die Jugendzeit zurückblickt, in jene Zeit, da er selbst Rüpel und Rebell war.

Er begann mit der Niederschrift dieser Autobiographie 1808, wenige Jahre nach der Übersetzung von »Rameaus Neffe«. »Dichtung und Wahrheit« allerdings ist, eben weil der Wandel zum Geheimrat schon vollzogen war, in Stil und Haltung ein Anti-Rousseau: eine Bilanzierung des vergangenen Lebens, kein Bekenntnis. Es bedarf der sprachlichen Disziplin des Geheimrats, um den revolutionären Geist des 18. Jahrhunderts, von dem auch er in seiner Jugend angesteckt gewesen war, zu beschreiben, zu reflektieren und in die Schranken zu weisen. Den Übermut des jungen Goethe betrachtet der alte wie ein Erzieher mit wohlwollender Missbilligung. Dieser Pädagoge scheut, anders als Diderot, die Langeweile der sich distanzierenden Reflexion nicht, wenn er über die »genialisch-leidenschaftlich durchgesetzten Übungen« seiner Jugend und die seiner Jugendfreunde spricht: »Durch ein geistreiches Zusammensein an den heitersten Tagen aufgeregt, gewöhnte man sich, (…) zu zersplittern, was sonst zusammengehalten hatte (…). Ein einzelner einfacher Vorfall, ein glücklich naives, ja ein albernes Wort, ein Mißverstand, eine Paradoxie, eine geistreiche Bemerkung, persönliche Eigenheiten oder Angewohnheiten, (…) alles ward in Form des Dialogs, der Katechisation, einer bewegten Handlung, eines Schauspiels dargestellt« – man denke, wie Rousseau eine solche Jugend beschrieben hätte! Goethe jedoch, der auf seine Jugend zurückblickt, mac