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Westliches Mittelmeer
Malte lag in seiner Koje und starrte an die Holzdecke direktüber seinem Kopf. Er kannte jede Maserung und jedes Loch im wurmstichigen Holz, den Verlauf der Risse konnte er bei geschlossenen Augen nachzeichnen, und das Wort»Fuck«, das irgendjemand schon vor Jahren ungelenk und kraklig in die spröden Bretter gekratzt hatte, war das Letzte, was er jeden Tag vor dem Einschlafen mit in seine Träume nahm.
Er hatte Seeleute erlebt, die drei Monate auf dem Kahn arbeiteten und sich allein mit diesem Fluch durchschlugen. Sie brüllten ihn, wenn das Essen verdorben und die Suppe sauer war, aber auch, wenn es ausnahmsweise einen Viertelliter Whisky gab. Sie brummten ihn, wenn sie die Wache verließen oder sich, noch völlig verschlafen, zur Stelle meldeten. Und wenn sie das Deck schrubbten und sahen, dass ein Schiff auf Kollisionskurs war, oder wenn der Sturm ihnen um die Ohren fegte, schrien sie dasselbe Wort. Mehr brauchte man offensichtlich nicht auf derBlue Bird, diesem miesen Seelenverkäufer, der Eisenschrott geladen hatte, auf dem Weg von Brisbane nach Bremerhaven war und unter philippinischer Flagge fuhr, um Steuern und Versicherungen zu sparen. Das Schiff war verrostet, reparaturbedürftig und völlig am Ende. Malte wunderte sich jeden Tag, dass esüberhaupt noch schwamm.
Seine Augen flackerten. Er hatte jetzt achtundzwanzig Stunden nicht geschlafen, eine Doppelschicht geschoben, bei der Arbeit unentwegt Kaffee getrunken und dazu nur ein paar staubige Kekse gegessen, die nach Mottenpulver schmeckten. Er war hundemüde und sehnte sich danach, einfach abzutauchen und nach einigen Stunden ausgeruht zu erwachen, aber es gelang ihm nicht.
Vor zehn Jahren hatte er seinen alten Job als Binnenschiffer sausen lassen und als einfacher Seemann angeheuert, weil er die Flussfahrerei satthatte und nur noch hinaus aufs Meer wollte.
In kürzester Zeit hatte er sich auf derBlue Birdhochgearbeitet und immer mehr Verantwortungübernommen. Undschließlichübte er den einigermaßen gut bezahlten, aber auch verhasstesten Job aus, den ein Frachterüberhaupt zu vergeben hatte: Malte hatte als Bootsmann die Aufgabe, die Befehle des Kapitäns an die Mannschaft weiterzuleiten und alle anfallenden Arbeiten zu koordinieren.
Alle Nationalitäten dieser Welt waren normalerweise in so einer Mannschaft zusammengewürfelt, von denen kaum einer einen Brocken Englisch verstand. Eine fast unlösbare Aufgabe. Malte hatte zwischen Malaien, Kroaten, Bulgaren und Rumänen vermittelt und sein Bestes versucht, sich aber nur Feinde geschaffen.
Denn da war Chiang Lu.
Chiang Lu war ein kleiner, dicker Chinese mit einem runden, fleischigen Gesicht, in dem es keine Augen zu geben schien. Auf den ersten Eindruck wirkte er plump, aber er hatte ungeheure Kraft, die man bei einer so fetten und behäbig scheinenden Person gar nicht vermutete. Außerdem konnte er sich blitzschnell bewegen, die Beine gegen die Deckenlampe oder gegen Köpfe schnellen lassen und aus der Hocke einen Meter hoch springen.
Chiang Lu war der Chefüber eine Gang von sieben Chinesen und einem Ukrainer. Die Jungs schienen ihm hörig und taten alles, was er wollte.
Aber vor allem hatte Chiang Lu seinen Schatten Yao Yan.
Yao Yan war mager und relativ schwachsinnig. Er verstand nie, worum es ging, aber er tat alles, was Chiang Lu ihm befahl. Bedingungslos. Er hätte sich selbst die Hand abgehackt, wenn Chiang Lu es verlangt hätte. Yao Yan war eine zähe, blöde Kampfmaschine, die keinen Schmerz und keine Empathie kannte– nur die Befehle von Chiang Lu.
Malte hatte mehrere Male mit dem Kapitän gesprochen und ihn gebeten, Yao Yan sobald wie möglich abzuheuern, aber der Kapitän hatte jedes Mal abgewinkt.»Er arrrbeitet gutt«, hatte er geknurrt,»