EINS
Eindringlich hallen meine Schritte von dem glänzenden Fußboden wider, und ich muss die Augen gegen das grelle Neonlicht zusammenkneifen.
»Hier entlang.« Die Ärztin aus der Notaufnahme schiebt mich in den kühlen, sterilen Raum, der sich als Pathologie entpuppt.
Auf dem Tisch liegt die Leiche meines Bruders, reglos unter einem weißen Laken.
Der Schock erschüttert meinen Körper, legt sich schwer auf meine Brust, presst den Atem aus meiner Lunge. Nichts hätte mich auf diesen Anblick vorbereiten können.
Kit, mein älterer Bruder.
Mein Prüfstein.
Kit, der zwölfte Earl of Trevethick.
Tot.
»Ja. Das ist er.« Die Worte fühlen sich wie Watte in meinem Mund an.
»Danke, Lord Trevethick«, murmelt die Ärztin.
Scheiße. Das ist jetzt mein Titel.
Ich blicke auf Kit.
Aber er ist es nicht. Stattdessen liegeich auf dem Seziertisch – mit schwersten Verletzungen, zahllosen Prellungen … kalt … tot.
Ich? Aber wie ist das möglich?
Ich sehe zu, wie Kit sich über mich beugt und mir einen Kuss auf die Stirn gibt. »Leb wohl, Scheißkerl«, krächzt er mit vor ungeweinten Tränen rauer Stimme. »Du schaffst das schon. Dafür wurdest du geboren.« Er verzieht das Gesicht zu diesem schiefen, herzlichen Lächeln, das den seltenen Momenten vorbehalten ist, wenn er hackedicht ist.
Kit! Nein! Das muss ein Irrtum sein!
Warte!
»Du schaffst das, Ersatzmann«, sagt er. »Du bist die Dreizehn. Glückszahl.« Sein Lächeln verfliegt, und er verschwindet. Und dann bin plötzlich ich wieder derjenige, der neben dem Seziertisch steht, und beuge mich über seine schlafende Gestalt. Doch die schweren Verletzungen täuschen, denn er schläft nicht … sondern er ist tot.
Nein! Kit! Nein! Doch meine Kehle ist so eng vor Trauer und Schmerz, dass die Worte nicht über meine Lippen kommen.
Nein! Nein!
Mit hämmerndem Herzen wache ich auf.
Wo bin ich?
Ich brauche eine Millisekunde, um mich zu orientieren, während sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnen. Alessia liegt dicht bei mir, den Kopf auf meiner Brust, eine Hand auf meinem Bauch. Nach einem tiefen Atemzug spüre ich, wie meine Panik allmählich zurückweicht wie eine sanfte Welle am Ufer eines Binnenmeers.
Ich bin in Kukës in Nordalbanien, im Haus ihrer Eltern. Jenseits des Sees zeigt sich das erste Licht der Dämmerung.
Alessia ist hier. Bei mir. In Sicherheit. Sie schläft tief und fest. Vorsichtig lege ich den Arm enger um sie, küsse ihr Haar und atme ihren Duft ein. Die Mischung aus Lavendel, Rose und meinem süßen Mädchen beruhigt und erregt mich zugleich.
Mein Körper erwacht, heiße, schwere Begierde strömt hinab in meine südlichen Regionen.
Ich will sie. Noch einmal.
Dieses Verlangen ist noch neu, aber schon jetzt zu einem Teil von mir geworden und immer besonders ausgeprägt, wenn ich in ihrer Nähe bin. Sie ist so hinreißend und bezaubernd, dass ich wie ein Süchtiger nach ihr lechze. Trotzdem widerstehe ich dem Bedürfnis, sie zu wecken, denn diese Frau hat die neun Kr