Kapitel 1
Und so geleite dich der Weiser an die Seite der Mutter Eelea, auf dass du an ihrer Seite sitzt und über deine Lieben wachst.«
Die Priesterin hob die rechte Hand und legte sie auf ihre Brust. Die goldbestickte rote Robe rutschte dabei ihren Arm hinauf und entblößte seine knochigen Konturen.
Dass die Kirche viel zu wenig Aufmerksamkeit, wie auch Lohn und Nahrungsmittel, zugeteilt bekommen hatte, war mittlerweile bekannt. Mit jedem Detail, das Maximilian Perr zutage förderte, wurde uns bewusster, dass das Kastenwesen der Vergangenheit angehören musste. Zum Glück war der neue Herrscher derselben Auffassung.
Das Land stand noch immer unter Schock und es würde lange dauern, bis wieder ein normales Leben möglich war. Bis die Barrieren zwischen den Kasten auch in den Köpfen aufgehoben waren und die Leute wieder aufeinander zugingen.
Aber erst mal war der Krieg gewonnen und Maximilian Perr als König angenommen. Vor allem nach der Bekanntmachung, dass er die Heldin der Schlacht – meine Freundin Lilly – zu seiner Frau nehmen würde.
»Sprecht nun mit mir die heiligen Worte der Mutter«, forderte die Priesterin uns auf und während wir mit ihr gemeinsam das Glaubensbekenntnis sprachen und erneut dafür beteten, dass Troys Seele gut bei der Mutter ankam, schwieg Lanaya. Jeder wusste, wie die dunkelhaarige Elfin für Troy empfunden hatte, und selbst ihr Bruder Avathandal hatte sie nicht zu trösten vermocht.
Nur ihr leises Schluchzen durchbrach die ruhigen Worte und die gedrückte Stimmung auf dem kleinen Abteil des Friedhofes, welcher speziell für Mitglieder der Königsfamilie oder besonders herausragende Persönlichkeiten reserviert war.
Maximilian Perr hatte darauf bestanden, dass unser Freund und mein ehemaliger Lehrmeister bei den Wächtern Troy ebenfalls hier bestattet werden sollte, auch wenn sie nur sein Schwert symbolisch beisetzten.
Sie hatten zwar versucht, Troys Leiche zu finden, aber in der Masse an Toten war das schlicht nicht möglich gewesen. Einigen Körpern war der Kopf vom Rumpf abgetrennt worden, viele waren unter Pferdeleibern zerquetscht worden, und Verbrannte gab es auch zur Genüge.
Alles in allem sollte es eine unglaublich widerwärtige Arbeit gewesen sein, die sie schnell den Totengräbern überlassen hatten, nachdem klar geworden war, dass Troy nicht aufzufinden war.
Nach der Zeremonie verließen wir gemeinsam den Friedhof. Lanaya lief einige Schritte vor uns, den Kopf gesenkt und die Haare in einen Knoten gebunden, der, wie ich von Avathandal erfahren hatte, üblich war, wenn eine Frau ihren Partner verloren hatte. Auch wenn er es mit einem gewissen Unterton gesagt hatte, wäre er der Letzte, der seiner Schwester die Trauer absprechen würde.
Er sah ihr besorgt hinterher, als sie im Palast direkt in ihrem Zimmer verschwand. Sie aß zu wenig, doch wer konnte es ihr verdenken?
Natürlich traf es uns, aber irgendwie hatten gerade Avathandal und ich eine gewisse Distanz zu Troy gehalten.
Würden wir die Beisetzung nach menschlichem Brauch feiern, gäbe es nun einen Leichenschmaus. Ein Festessen für die Angehörigen. Aber das taten wir nicht. Die Beisetzung auf dem Friedhof war nach menschlichen Standards gestaltet gewesen, der Rest hingegen wurde elfisch gefeiert. Das hieß, dass wir uns bei Mitternacht draußen treffen und des Toten gedenken würden.
»Wie lange hast du vor, noch hierzubleiben?«, wollte ich von Avathandal wissen, nachdem wir uns auf unser Zimmer zurückgezogen hatten.
Es war noch nicht so richtig klar, wie wir die nächste Zeit verbringen würden. Natürlich war es unsere Pflicht, alsbald nach Havaris zu reisen, um einer weiteren Beerdigung beizuwohnen, aber das ganze Drumherum war noch nicht besprochen.
Noch hatte Avathandal kein Wort darüber verloren, was mit mir sein würde, jetzt, wo er den Platz seines Vaters im