Kapitel 1
Dorf Gaarden bei Kiel, April 1895
Der weiche Waldboden dämpfte ihre Schritte. Trockene Stöckchen und leere Schalen von Bucheckern flogen unter ihren Sohlen hervor. Luise breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis, schneller und schneller. Sie richtete ihren Blick in den Himmel. Das zarte Grün der ersten Buchenblättchen verschwamm vor ihren Augen, das Vogelgezwitscher wurde zu Musik, die ihren wilden Tanz untermalte. Der Wind, der von der Förde kam und auch vor dem Vieburger Gehölz nicht haltmachte, fuhr unter ihren Rock und hob ihn an. Zum Glück war sie allein, weit und breit war kein Mensch zu sehen. Luise kicherte, änderte die Richtung, ehe ihr übel werden konnte. Sie schloss die Augen, stellte sich vor, der Wind würde sie mitnehmen, davontragen über das Wasser, weit fort von Kiel, hinaus in die Welt. Sie riss sich die Zopfbänder heraus und ließ ihr Haar fliegen.
Als sie nicht mehr konnte, blieb sie keuchend stehen, sog tief die frische Frühlingsluft ein. Langsam ging sie weiter, und der köstliche Schwindel legte sich. Neben dem Weg breitete sich ein dichter Teppich aus Buschwindröschen aus, weiße Sterne auf grünem Grund, dazwischen Scharbockskraut und Löwenzahn, gelbe Tupfen neben bemoosten abgebrochenen Ästen. Auch wenn sie Kiel irgendwann verlassen würde – hierher würde sie immer wieder zurückkehren. In ihren Wald auf dem niedrigen Hügel oberhalb der Stadt.
Sie wusste, sie musste