Prolog
Mein Name ist Scarlet Grey, und bis heute glaubte ich, für alle Ewigkeit verloren zu sein.
Mitten in der Nacht verschleppte man mich aus der Rookwood School, sperrte mich in eine Anstalt und gab mir einen neuen Namen. Man sagte mir, ich sei verrückt. Man sagte mir, ich hätte mir alles, was geschehen war, nur eingebildet.
Alle anderen vergaßen mich.
Alle außer meiner Zwillingsschwester Ivy . . .
Ich traute meinen Augen nicht. Im Fenster glaubte ich, mein Spiegelbild zu sehen. Und dann bewegte sie sich.
Sie legte die Hand an die Scheibe. Eine Minute lang konnte ich nur hinstarren. Unsere Blicke trafen sich durch das Fenster und ich hob meine Hand – ein perfektes Spiegelbild.
Ich wargerettet!
Ich riss die Tür auf und rannte hinaus. Schwester Joan rief mir etwas nach. Rutschend kam ich zum Stehen und schlang die Arme um meine Zwillingsschwester.
»Ivy! Bist du es wirklich?«
Sie sah mich nur an und brach in Tränen aus.
Vielleicht hätte ich auch weinen sollen, aber das konnte ich nicht. Noch nie zuvor war ich so glücklich gewesen. In diesem Augenblick hätte ich vom Boden abheben und schweben können. Sie hatte mich gefunden, ich war gerettet, ich kam raus aus der Anstalt. Ich warfrei!
Also lachte ich stattdessen. Ich lachte und wirbelte meine Schwester herum, bis auch sie keine andere Wahl mehr hatte, als trotz der Tränen zu lachen. Beide sackten wir neben dem Teich zu Boden.
»Ach, Scarlet«, schluchzte sie. »Miss Fox hat mir gesagt, du wärst tot. Und das hab ich ihr geglaubt, das hab ich wirklich. Auch Vater hält dich für tot. Aber dann hab ich dein Tagebuch gefunden und alles zusammengesetzt, trotzdem hätte ich nie . . . ich hätte nie geglaubt . . .«
In dem Moment wurde mir bewusst, dass wir nicht mehr allein waren. Die Schwester und die Sekretärin waren gekommen, aber nicht nur sie.
»Miss Finch!« Ich sprang auf. »Warum sindSie hier?«
Meine ehemalige Ballettlehrerin starrte mich an. In ihren großen Augen mischten sich Freude und Entsetzen. »Hallo, Scarlet.« Sie fuhr sich mit der Hand durch das rote Haar und atmete laut aus. »Ich kann es einfach nicht glauben. Dulebst. Ich muss mich setzen.«
Ich führte sie zu einer Bank, auf der sie sich unbeholfen niederließ. »Wenn ich meine Mutter je in die Finger kriege . . .«, murmelte sie.
Ihre Mutter?
Ivy stand vom Boden auf. Sie zitterte noch immer am ganzen Leib und wusste offensichtlich nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Wir holen dich hier raus«, sagte sie.
Die Realität stürzte wieder auf mich ein. Und wenn mich die Ärzte nicht gehen ließen? Wenn sie mich auch weiterhin für verrückt hielten?
Ich wandte mich an meine Zwillingsschwester. »Ist das wirklich alles passiert?«, fragte ich leise. »Das alles? Violets Intrigen? Der Kampf auf dem Dach? Dass Miss Fox sie weggeschafft hat?«
Ivy starrte mich einen Augenblick lang an, dann nickte sie. »Das alles und noch viel mehr.«
Miss Finch begleitete die Sekretärin zurück ins Gebäude. Beinahe hätte ich versucht, sie aufzuhalten. Ich wurde die Angst nicht ganz los, man würde sie überreden, mich hier zurückzulassen. Doch sie meinte, sie würde die Dinge richtigstellen und meine Entlassung bewirken.
Ivy und ich saßen Schulter