1. KAPITEL
Ich müsste eigentlich besser drauf sein, dachte Jeremy, während er sich in seinem Schreibtischstuhl zurücklehnte und die Füße auf die Tischplatte mit eingelassener Lederschreibfläche legte. Dabei ist mein Leben doch nahezu perfekt. Ich bin kerngesund, stinkreich und – dem Himmel sei Dank – Single. Außerdem sind meine Tage als Chef-Anlageberater in der Londoner Filiale der Barker-Whittle-Bank vorbei. Wie unglaublich befreiend!
Für seinen hyperehrgeizigen Vater zu arbeiten hatte Jeremy nicht gerade Spaß gemacht. Er war zwar verdammt gut in seinem Job gewesen, doch trotz der Anerkennung und großzügigen Boni der letzten Jahre zog er es vor, sein eigener Herr zu sein. Daher hatte er einen Teil seines kürzlich gemachten Vermögens dazu genutzt, einen strauchelnden Verlag zu übernehmen und in ein florierendes Unternehmen zu verwandeln. Ganz schön schräg, wenn man bedachte, dass es eigentlich nur ein Zufallskauf gewesen war.
Ursprünglich hatte Jeremy sich als Bauträger selbstständig machen wollen und als Erstes ein Haus in einer der besten Wohngegenden Mayfairs erstanden. Doch der Verlag, der sich in das Gebäude eingemietet hatte, hatte darauf bestanden, zu bleiben, bis der Mietvertrag auslief. Also hatte Jeremy beschlossen, der Verlagsleitung ein Angebot zu unterbreiten, das sie nicht ablehnen konnte, und den Verlag in einem anderen Gebäude unterzubringen, um das Haus in Mayfair sanieren zu lassen und in drei Luxuswohnungen aufzuteilen.
Doch es war alles ganz anders gekommen. Die Leute bei Mayfair Books waren ihm rasch ans Herz gewachsen, und auch das alte, holzvertäfelte und mit Antiquitäten eingerichtete Haus hatte ihm so gefallen, wie es war – etwas schäbig zwar, aber mit sehr viel Charme und Charakter.
Gespräche mit den Angestellten und ein Blick in die Buchhaltung hatten jedoch rasch offenbart, dass der Verlag dringend eine Verjüngungskur brauchte. Jeremy, der bis dato keine Ahnung von der Branche gehabt hatte, war es dank seiner Intelligenz und seiner guten Beziehungen – darunter zur Marketingabteilung eines renommierten Londoner Verlags – gelungen, das Unternehmen finanziell zu sanieren.
Jetzt, ein Jahr später, war er Chef von Barker Books, dessen Namen er geändert und in ein florierendes Verlagshaus verwandelt hatte. Im letzten Quartal hatten sie sogar Gewinne erzielt. Jeremy ging seitdem jeden Morgen glücklich zur Arbeit, ganz anders als während seiner Zeit in der Bank.
Sein Job konnte also nicht daran schuld sein, dass er so unzufrieden war.
Genauso wenig sein Liebesleben, denn das lief wie immer prima, obwohl sein Fokus seit der Verlagsübernahme mehr auf seiner Arbeit als auf den Frauen lag.
Trotzdem kam er sexuell nicht zu kurz. Es fiel ihm nie schwer, willige Frauen zu finden, die ihn zu den zahlreichen gesellschaftlichen Anlässen begleiteten, zu denen er regelmäßig eingeladen wurde. Ein Mann seiner gesellschaftlichen Stellung und mit seinem Geld war überall ein gern gesehener Gast.
In der Regel verbrachte er anschließend die Nacht mit seiner jeweiligen Begleitung, wobei er vorab immer klarstellte, dass nichts Dauerhaftes daraus entstehen würde. Er hielt nichts von der Liebe oder womöglich – Gott bewahre! – der Ehe! Gott sei Dank akzeptierten die meisten Frauen das anstandslos, denn gebrochene Herzen waren auch nicht gerade Jeremys Ding.
Da ihm also auf Anhieb kein Grund für seine derzeitige Unzufriedenheit einfiel, würde er wohl einmal gründlich über sich selbst und sein Leben nachdenken müssen – etwas, das er sonst um jeden Preis vermied.
Er hielt nicht viel von Selbstanalyse oder Psychotherapien. Seinen Brüdern zumindest hatte das nicht weitergeholfen. Außerdem wusste Jeremy auch ohne Seelenklempner, warum er so war, wie er war. Seine negative Einstellung zur Ehe war eindeutig auf die ständigen Scheidungen und neuen Hochzeiten seiner Eltern zurückzuführen. Und darauf, dass sie ihn mit acht in ein Internat gesteckt hatten, wo man ihn gnadenlos terrorisiert hatte.
An jene Jahre dachte er so ungern zurück, dass er die Erinnerungen lieber verdrängte und sich stattdessen glücklichere Zeiten ins Gedächtnis rief – seine Jahre an der Londoner Universität zum Beispiel. Dort hatte man ihn endlich intellektuell gefordert. Seine guten Noten hatten seine Großmutter mütterlicherseits wiederum so erfreut, dass sie ihn zu ihrem Erben eingesetzt hatte – unter der Voraussetzung, dass er in Oxford weiterstudierte.
Das hatte Jeremy getan, und sein großzügiges Privateinkommen – Gran war kurz nach seiner Immatrikulation gestorben – hatte ihm jenen luxuriösen Lebensstil ermöglicht, an den er sich rasch gewöhnt hatte. Für die Uni hatte er gerade genug getan, um sein Examen zu bestehen, aber ansonsten hatte er nur ein Ziel verfolgt: Spaß zu haben. Er hatte so viel gezecht, dass das auch ins Auge hätte gehen können, wenn seine beiden neuen Freunde nicht etwas vernünftiger gewesen wären als er.
Beim Gedanken an Sergio u