1. KAPITEL
Der Unbekannte mit dem breitkrempigen Texanerhut stand lächelnd vor Lisa Sanders und rührte sich nicht von der Stelle.
Lisa seufzte im Stillen. Der Mann war es eindeutig gewohnt, seinen Willen durchzusetzen. Nicht bei mir, dachte sie und richtete sich hinter ihrem Schreibtisch noch etwas auf.
Sie arbeitete erst seit einem Monat als Brians Empfangsdame, aber sie wusste, worauf es ihm ankam. Sie sollte ihren Chef vor ungebetenen Besuchern schützen, und da ließ sie sich weder durch Schmeicheleien noch durch Einschüchterungsversuche beeindrucken. Sie machte ihre Arbeit gut.
Der Besucher hatte sich als Alan Barrett vorgestellt und behauptet, Brian würde ihn erwarten. Aber er stand nicht auf der Liste für heute.
Lisa sah Alan Barrett fest in die unglaublich blauen Augen und versuchte zu ignorieren, wie heftig ihr Herz plötzlich klopfte.
„Mr. Summers ist in einer Besprechung, da kann ich ihn jetzt nicht stören“, erklärte sie freundlich, aber bestimmt. „Er hat heute einen vollen Terminkalender. Vielleicht kann ich Sie kurz nach eins einschieben.“
Das Lächeln auf Alan Barretts Gesicht verschwand. „Hören Sie, Miss …“, er warf einen Blick auf ihr Namensschildchen auf dem Tisch. „Miss Sanders, Brian und ich sind nicht nur Geschäftspartner, sondern auch Freunde. Vor einer knappen Stunde habe ich mit ihm telefoniert, und wir haben uns um zehn hier verabredet.“ Er blickte auf seine Uhr. „Das ist jetzt.“
Lisa straffte die Schultern und entgegnete höflich: „Möchten Sie vielleicht so lange Platz nehmen, dann kläre ich das mit Mister Summers, sobald die Besprechung zu Ende ist.“ Dabei wies sie zu der ledernen Sitzgruppe im Vorraum.
Sie spürte, wie der Besucher sie musterte: ihren kinnlangen blonden Bubikopf, die Farbe ihres Lippenstiftes, ihr marineblaues, strenges Kostüm.
Und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie zurückstarrte und mit dem Blick geradezu an seinem kantigen Kinn und den breiten Schultern unter dem edlen Mantel hing. Alan Barrett war ein äußerst attraktiver Mann.
Sein Gesicht war von dem Texanerhut halb verdeckt, aber sie nahm an, dass er schon an die vierzig sein musste. Viel zu alt für sie und überhaupt nicht ihre Kragenweite! Außerdem hatte sie in absehbarer Zukunft kein Interesse an Männern. Sie war gerade dabei, in ihrem Beruf und ihrem Leben endlich Fuß zu fassen.
Denn Brian war nicht nur ihr Chef. Er und seine Frau Carrie hatten Lisa geholfen, als sie an einem Tiefpunkt ihres Lebens angekommen war. Sie hatten sie buchstäblich von der Straße geholt. Ohne die beiden würde sie vielleicht immer noch in einem Obdachlosenasyl schlafen, fremde Menschen hätten ihr Baby adoptiert, und sie hätte es nie mehr wiedergesehen.
Brian und Carrie Summers hatten ihr ein Zuhause und eine zweite Chance gegeben, wofür sie ihnen ewig dankbar war. Bald würde sie ihre Maklerzulassung bekommen und Brians offizielle Assistentin werden. Und sie hatte sich geschworen, ihn niemals zu enttäuschen.
Wahrscheinlich gab es sowieso keinen Mann auf der Welt, der mit der Tatsache leben konnte, dass sie ihr Kind fortgegeben hatte.
Ihre Kollegen im Büro hielten sie für eine Verwandte von Brian, und nur ein paar enge Freunde kannten die wahre Geschichte: Als Lisa achtzehn Jahre alt und im achten Monat schwanger gewesen war, hatten die Summers sie bei sich aufgenommen, ihr Baby adoptiert und Lisa seither wie eine Tochter behandelt. Sogar das Studium hatten sie ihr bezahlt.
Alan Barrett schien keine Ahnung von alldem zu haben. Wie gut konnte er denn dann mit Brian befreundet sein?
Seine angenehme, tiefe Stimme riss sie aus ihren Gedanken: „Da ich Sie heute zum ersten Mal sehe, Miss Sanders, sind Sie wohl neu hier. Und Sie machen Ihren Job sicher sehr gut. Aber Sie sollten Brian jetzt trotzdem Bescheid sagen. Nicht, dass Sie es später bedauern.“
Er versuchte sie einzuschüchtern! Aber mit autoritärem Auftreten löste man bei Lisa unweigerlich das Gegenteil aus. Sie war schon immer absolut allergisch gegen