2Marconi ernt eine bittere Lektion
Marconi fand den Lichtschalter nicht und tastete sich im Dunkeln durch das fremde Haus. Sein Fuß stieß an einen Gegenstand. Obwohl das Hindernis leicht nachgab, konnte Marconi einen Sturz nicht verhindern. Als er fiel, hallte ein lautes Scheppern durch die obere Etage. Kurz darauf wurden fast zeitgleich zwei nebeneinanderliegende Türen geöffnet und zwei kleine Köpfe kamen zum Vorschein. Stefano rieb sich die Augen und gähnte herzhaft. Klara sah Marconi mit gerunzelter Stirn an.
«Tut mir leid», brachte er kleinlaut hervor. «Ich wollte euch gerade wecken kommen, allerdings nicht so.»
Augenrollend schaltete Klara das Flurlicht an, und Marconis Blick fiel auf die Umzugskiste, auf der er kniete. Er würde später nachsehen, was darin zu Bruch gegangen war, stand auf und versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln.
«Wer hat Lust auf ein Piratenfrühstück?» Er klatschte in die Hände.
«Brot mit Marmelade», entgegnete Klara kurz angebunden und schlurfte ins Bad. Stefano nickte zustimmend und ging zurück in sein Zimmer.
Fünfundzwanzig Minuten und zwei Marmeladenbrote später saßen sie zu dritt im Mini von Marconis verstorbenem Bruder Nevio. Marconi hatte mehrere Anläufe gebraucht, um den Fahrersitz bis zum Anschlag nach hinten zu verstellen und seine ein Meter dreiundneunzig hinter dem Lenkrad zusammenzufalten. Weil er seine neue Uniform erst bei Dienstantritt erhalten würde, trug er eine bequeme graue Stoffhose, dazu halbhohe hellbraune Lederstiefel und ein hellblaues, tailliert geschnittenes Hemd. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel bestätigte seine Vermutung, dass er mit etwas gutem Willen als italienischer Gigolo durchging. Sein Haar lockte sich mittlerweile fast bis zum Kinn, weil sein Friseurbesuch aufgrund der Umzugsvorbereitungen mehrere Wochen überfällig war. Nur mit einer mangogroßen Portion Schaumfestiger war es ihm an diesem Morgen gelungen, seine Mähne ein wenig zu bändigen. Aber darum würde er sich kümmern, sobald er diesen akuten Ausnahmezustand hinter sich gelassen hatte. Es gab in seinen ersten Tagen hier an der Küste Wichtigeres, als Eitelkeiten zu pflegen. Allem voran Schulbrote schmieren und eine Lösung dafür finden, wer die Nachmittagsbetreuung für die Kinder übernahm, während er seinen neuen Job antrat. Beim Gedanken daran entfuhr ihm ein Seufzer.
«Turnbeutel fürs Fußballtraining nach der Schule hast du dabei?» Marconi war stolz auf sich, weil er sich die beiden Stundenpläne am Kühlschrank eingeprägt hatte. Statt eine Antwort zu geben, sah Stefano regungslos aus dem Seitenfenster. Stellvertretend für ihren kleinen Bruder hielt Klara die Trainingstasche in die Höhe.
«Und die belegten Brote für die Frühstückspause?» Marconi registrierte, dass Klara mit den Augen rollte. Er hatte schon davon gehört, dass Teenager das gern taten, war aber selbst noch nicht in den Genuss gekommen und beschloss, es zu ignorieren. Als ihr Blick den seinen im Rückspiegel traf, nickte sie kurz und sah dann wieder aus dem Seitenfenster. Mit aufgesetzter Fröhlichkeit plauderte er weiter: «Eure Nonna hat noch Brot und Käse gekauft, bevor sie gestern zurück nach München gefahren ist. Falls es euch nicht schmeckt, gehen wir gemeinsam einkaufen, okay?» Keine Reaktion.
Sie fuhren an zweigeschossigen Ein- und Zweifamilienhäusern vorbei. An vielen Fahnenmasten wehten blaue Fahnen mit gelbem und rotem Streifen am Rand, auf denen drei goldene Schiffe prangten. Die Sankt Peteraner schienen Lokalpatrioten zu sein. Das hatten sie immerhin mit vielen Italienern gemeinsam, die vor allem deshalb überzeugt waren, dass Gott existierte, weil nur eine göttliche Macht in der Lage sein konnte, etwas so Schönes wie Italien zu erschaffen. Zum zweiten Mal an diesem Tag dachte Marconi w