Prolog
Eden, Kalifornien
Mittwoch,19. April,22.30 Uhr
Hayley Gibbs zuckte zusammen, als ihr Bauch den Rahmen der Eingangstür zur Ambulanz streifte.Verdammt. Wieder einmal hatte sie ihren aktuellen – und stetig wachsenden – Körperumfang falsch eingeschätzt. Diese verflixte Schwangerschaft.
Beruhigend tätschelte sie die ausladende Wölbung.Nicht du, sagte sie stumm zu ihrem ungeborenen Kind. Ihrer Tochter.Auf dich bin ich nicht böse, Jellybean. Niemals.
Aber auf ihre Mutter. Auf sie war sie stinkwütend. Gleichzeitig fürchtete sie sich vor ihr. Die Wut war nichts Neues, die Angst hingegen schon, zumindest in dieser Form. Bisher hatte sich die Angst darauf beschränkt, nicht genug zu essen zu haben oder nicht zu wissen, wo sie nächste Woche wohnen würden, oder wie ihre Mutter reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass Hayley Sex mit Cameron hatte, ihrem Highschool-Freund, oder dass ihr jüngerer Bruder Graham im Elektromarkt regelmäßig Sachen klaute.
Dann hatte Hayley herausgefunden, wie es war,wenn ihre Mutter reagierte.
Sie hat uns hierhergeschleppt.In dieses Drecksloch mitten in der beschissenen Einöde.
Aus dem Hayley abhauen würde, und wenn es sie das Leben kostete.
Sie musste nur in den Arbeitsraum der Ambulanz gelangen.
Mit einem tiefen Atemzug zwängte sie sich durch die Tür und schloss sie leise hinter sich, dann blieb sie einen Moment lang reglos stehen und lauschte. Doch alles war still.
Danke, hauchte sie, ohne recht zu wissen, an wen der Dank gerichtet war. An Gott wohl eher nicht, zumindest nicht an den ihrer Mutter. Der Gott, dem Hayley danken wollte, war einer, der dafür sorgte, dass es ihrem Baby gut ging. Und der diese Ungeheuer, die hier lebten, ganz bestimmt nicht gutheißen würde.
Eden war voller Ungeheuer, und sie und ihr Bruder waren unter lautstarkem Protest hierhergeschleppt worden.
Mit dem Finger strich Hayley über die dicke Kette, die um ihren Hals geschmiedet war.
Geschmiedet! Um meinen Hals!
Trotz des Medaillons, das daran hing, war die Kette kein Schmuckstück, sondern ein Zeichen von Besitztum.
Gerade war das Medaillon leer. Aber sobald das Baby geboren wäre, würde ihr Hochzeitsfoto hineingelegt werden. Genau genommen war sie sogar schon verheiratet – seit dem Tag, als sie an diesem grauenvollen Ort angekommen war. Zum Glück wollte ihr »Ehemann« die Ehe nicht »vollziehen«, solange sie den »Bastard« eines anderen unter dem Herzen trug, deshalb war ihr der erzwungene Sex erspart geblieben. Noch.
Er wollte nicht, dass ihr Hochzeitsfoto durch ihre Sünde besudelt wurde, deshalb sollte es erst nach der Geburt des »Bastards« aufgenommen werden. Was ihr etwas mehr als sechs Wochen Aufschub verschaffte.
Hayleys Magen rebellierte beim Gedanken daran, die vierte Ehefrau von Brother Joshua zu werden – gleichzeitig mit den anderen. Polygamie war in Eden an der Tagesordnung, und Hayley wollte unter keinen Umständen daran beteiligt sein.
Nichts von alldem hatte sie je gewollt. Stattdessen wollte sie bloß mit ihrem Freund zusammen sein und so leben, wie sie es seit dem ersten Schulball in der neunten Klasse gemeinsam geplant hatten.
Na schön, das Baby war nicht geplant gewesen, zumindest noch nicht jetzt, schließlich waren Cameron und sie erst siebzehn. Aber seine Eltern hatten sich hinter sie gestellt und angeboten, dass sie nach der Geburt erst einmal bei ihnen wohnen und trotzdem aufs College gehen könnten.
Nur ihre Mutter hatte nicht mitgespielt. Und ehe Hayley sichs versehen hatte, waren sie und Graham gezwungen worden, in den Pick-up irgendeines Fremden zu steigen.Und jetzt bin ich hier.
In der Ambulanz von Eden, die gerade geschlossen war. Wenn sie erwischt wurde … Allein bei der Vorstellung erschauderte sie. Trotzdem musste sie es versuchen. Ihre Angst, in Eden bleiben zu müssen, war