[Inhalt]
ICH GING 1979 NACH BERLIN, suchte erst mal eine Wohnung und fand eine wunderbare, die schönste, die ich je in Berlin gehabt oder gesehen habe, über 200 m², eine riesige, typische Berliner Wohnung in der Fasanenstraße, auf dem zweiten Stock, mit einem riesigen runden Bad, einem runden grünen Bad. Alles war überdimensional. Ich weiß nicht, was der Herr, der vor mir dort lebte, getrieben hat, aber es war sehr schön. Dort zog auch zu Teilen Elisabeth Stepanek mit ein, mit der ich auf schwierigste Weise noch zusammen war. Dann fing ich an, bei Kurt Hübner an der Freien Volksbühne zu arbeiten. Berlin fand ich damals schon bedrückend. Jetzt weiß ich natürlich nicht, und ich wußte es damals auch nicht, ob es daran lag, daß ich gerade eine so wunderbare Zeit in Hamburg hinter mir hatte. Berlin konnte damit nicht konkurrieren, obwohl die Wohnung ganz wunderbar war. Meine Situation war eigentlich fabelhaft. Aber ich hatte mein Ensemble verloren. Die Familie war weg. Ich mußte jetzt zusehen, daß ich die Teile der Familie, sofern es möglich war, wieder zusammenholte. Für drei Inszenierungen bei Hübner habe ich es auch geschafft –Menschenfeind, Bunbury undDer Widerspenstigen Zähmung. Da kamen Wildgruber, Lause, Rosel Zech, Eva Mattes, Ilse Ritter und Elisabeth Stepanek, Dietrich Mattausch, Heinz Schubert und Johannes Pump wieder zusammen. Aber unser Rhythmus war gestört. Die Konzentration der Arbeit am Hamburger Schauspielhaus, die Ivan Nagel hergestellt hatte, war wirklich sehr groß gewesen. In Berlin zerfledderte sich irgendwie alles. Es war nicht mehr ein Gefühl von Ensemble. Die Schauspieler wurden einzeln an dieses Theater engagiert, sie lebten entweder in möblierten Wohnungen oder hatten ihre Frauen, Kinder und Familien woanders, so daß eine grundsätzliche Unruhe herrschte. Ich versuchte, die Familie zusammenzuhalten. Was aber sehr schwierig war.
Berlin Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre deprimierte mich. Das hatte natürlich viel mit meiner Vergangenheit und meinen Erinnerungen zu tun, die jetzt plötzlich zurückkamen. Erinnerungen an die Eltern und was ich von ihnen so gehört hatte. Das Gefühl, daß ich über Pflastersteine ging, über die meine Ahnen auch gegangen waren und über die ich im Kinderwagen geschoben worden bin, hatte zwar einen gewissen Reiz, aber es erzeugte auch eine gewisse Depression, weil von alldem überhaupt nichts übriggeblieben war. Dieses berühmte, tolle Berliner Publikum, über das die Leute immer redeten, und über das man in Memoiren liest, habe ich in Berlin nicht gefunden, weil dieses tolle Berliner Publikum zu einem großen Teil aus Juden bestanden hatte, und die waren nicht mehr da. Die waren nämlich tot. So war es eine Illusion, eine Selbstkarikatur der Berliner, zu behaupten, daß es ein tolles Berliner Publikum gäbe. Die einzige Stärke des Berliner Theaterpublikums war seine Schnelligkeit, die Berliner waren immer sehr schnell in ihren Reaktionen. Sie sind sehr schnell, wenn etwas komisch und witzig ist. Sie sind sehr schnell, wenn ein Schauspieler virtuos ist. Sie sind absolut unbrauchbar für irgend etwas, das den leisesten Hauch von Poesie hat, so daß zum Beispiel meinLear – eine sehr poetische Aufführung –, als er von Bochum nach Berlin kam, dort überhaupt keine Wirkung hatte. In Berlin mußte man immer schnell, knapp, sehr direkt und ohne Umständlichkeit inszenieren, wie für Leute, die ganz schnell immer noch woandershin mußten. Sie waren mal kurz im Theater … Eigentlich war das so eine Pause für sie.
Ich lebte noch mit Elisabeth Stepanek zusammen, aber es war wieder eine Zeit des Übergangs, denn mittlerweile hatte ich Elisabeth Plessen getroffen. Ich steckte also wieder mitten in kompl