: Heinrich Mann
: Die Jagd nach Liebe
: SAGA Egmont
: 9788726885477
: 1
: CHF 4.00
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 9
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine Liebe mit Hindernissen und tragischem Ausgang: Nach dem Tod seines Vaters, der als Bau-Spekulant in München Millionen gemacht hatte, bekommt der junge Claude einen Vormund. Der nun reiche Erbe liebt die schöne Schauspielschülerin Ute, die jedoch nichts von ihm wissen will und ihn wiederholt abblitzen lässt. Ausgerechnet Claudes bereits 63-jähriger Vormund spannt ihm gezielt Ute aus, indem er sie zunächst als Mäzen fördert. Claude wendet sich daraufhin anderen Frauen zu, kann Ute jedoch nicht vergessen...-

Heinrich Mann (1871-1950), der ältere Bruder von Thomas Mann, war ein deutscher Schriftsteller, der aus der berühmten Schriftstellerfamilie Mann aus Lübeck stammt. 1933 wurde er von den Nazis aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen und emigrierte via Frankreich in die USA. Seine Werke sind oft gesellschaftskritisch und befassen sich mit den autoritären Ansätzen des Deutschen Kaiserreichs während des Wilhelminismus.

I.
Ziele


In Utes rotes Haar stieß ein einzelner Sonnenstrahl einen metallischen Glanz, als sei er ein Dolchstoß. Ute wandte Bella den Rücken. Sie hielt eine Hand auf der Hüfte, streckte die andere weit aus gegen die Dachkammer im kalten Nachmittagslicht und sagte über ihre Schulter hinweg, in den schrägen Winkel hinein, zu dem Totenschädel Nathanael:

»Ziele! ... Um Herrschaft kämpfen, den andern schaden, ihren Haß einatmen, die eigene Persönlichkeit wirken fühlen, Rausch erregen, die Seelen alle zittern sehen: Ziele!«

Darauf drehte sie sich um. Bella blinzelte ihr gelassen zu. Sie ruhte fleischig und gemütlich in ihrem niedrigen Korbstuhl zwischen seidenen Kissen, denen sie glich. Ihr Haar, breit frisiert und blond ohne Glanz, beschattete ihre weiten, weichen Züge und die Nase, die beweglich und zu lang war. Ihr fleischiges Handgelenk hing kraftlos vom Teetisch. Sie fragte:

»Und der gute alte Herr aus Lindau, der dir Rosen geschickt hat, was ist mit dem?«

»Er war neulich im ›Othello‹, und er wollte wieder anfangen. Ich sagte ihm: Ach so, das sind Sie. Ich habe mit Ihnen über Divorçons gesprochen und über die Ehe im allgemeinen, und Sie haben daraus geschlossen, daß Sie mir Rosen schicken dürfen. Das war dumm, aber Sie können nichts dafür. Denn es ist meine Schuld, wenn ich immer vergesse, daß man mit einem jungen Mädchen von einer Sache nicht um der Sache willen redet, sondern wegen des jungen Mädchens. – Und dann hab ich ihn stehen lassen.«

Bella wiegte den Kopf.

»Wer weiß ...«

»Ob er mich nicht geheiratet hätte?«

Ute trat dicht vor die andere hin und sah tief auf sie herab.

»Und du bist Künstlerin?«

Bella murmelte:

»Lieber Gott, ich singe ...«

»Du singst wie aus seidenen Kissen hervor, und so einladend.«

»Wenn du meinst, daß ich singe, um meine Persönlichkeit wirken zu fühlen. Papa kauft mir von seinen Tantiemen Ringe und Kleider, anstatt vernünftigerweise eine Mitgift für mich zurückzulegen.«

»Ach ja ...«

Ute machte zwei ungeduldige Schritte.

»Aber ich spiele, damit sogar noch in Nathanaels leerem Gebein ein Schwindel entsteht! ... Wenn ich denke, ich sollte schließlich das alles erarbeitet haben zugunsten eines einzigen – damit ein einzelner Bürger mich heiratet. Meine ganze Kunst, meine Arbeit, meine gepflegte, mühsam erarbeitete Persönlichkeit einem einzelnen Bürger in die täppischen Hände zu werfen! Es wäre ein Verrat an jeder von meinen Schminkbüchsen!«

Bella sah ihre Freundin die Wand hinschreiten. Auf abgedankten Kartentischen wechselten Photographien von Schauspielern mit Lanolintöpfen und Puderdosen. Über Archibalds Bildnis hinweg schleuderte Ute eine starke Geste nach dem Schriftstück, das ein rotes Bändchen an einen Nagel knüpfte.

»Das ist mein Engagement, es ist ja mit einer Art Dienstmädchenschrift geschrieben, und es gilt ja nur für eine Sommerbühne, eine ziemliche Schmiere, irgendwo mitten im Walde: aber ich schwöre dir, wenn ich das nicht hätte, wenn Archibald mich fallengelassen hätte, wenn er mein Temperament nicht genügend oder sonst irgendeinen Schaden an meinem Talent gefunden hätte – oh, ich hätte euch kein Wort davon gesagt, aber ich wäre dort unten irgendwo aus der Isar gezogen worden. Dann hättet ihr's euch denken können!«

Bella kreischte weich.

»Nein! Daßdeswegen ein hübsches Mädchen sich umbringt, nein, das hätten wir uns so leicht nicht gedacht.«

»Aber wenn das hübsche Mädchen einem landläufigen Assessor zuliebe ins Wasser springt, dann sind alle einverstanden?«

»Mein Gott ja, das kennt man.«

»Ich aber werde eine große und berühmte Schauspielerin – oder ich ende übel«, sagte Ute schauerlich und tief.

Sie stand aufgerichtet wie eine Erscheinung, groß, starkknochig, die Arme lang herabgelassen an dem schwarzen Hängekleid, das Gesicht erloschen unter dem hohen Brand ihres Haars.

Plötzlich zuckte ihr starker Mund, sie warf den Kopf zurück, das Kinn bog sich, schon leicht gepolstert, fahl von Chypre, ihr Blick flammte kalt zwischen den mit Kohle gefärbten Wimpern, die schwarzen Barren der Brauen drohten unter ihrem wilden Haar.

»Ich habe keine Angst«, sagte sie. »Ich werde, was ich will.«

Bella war eingeschüchtert. Die Züge der Freundin erschienen ihr zu groß, zu mächtig gehauen, sie fand ihren Mut zu unbedingt, ihr Wesen zu großartig.

»Wenn es nur gut geht«, meinte sie schwach. »Aus den meisten wird doch nichts ... Übrigens, mit dir ist es etwas anderes – da du Claude hast.«

»Was soll das. Du weißt ganz genau, daß der Kleine mein Freund ist. Darum gibt er mir Geld, und darum geb ich's ihm zurück, sobald ich eine große Gage habe.«

»Und wenn du keine kriegst?«

»Ausgeschlossen.«

»Versuche den Fall zu setzen. Womit entschädigst du ihn dann? ... Er liebt dich, nicht wahr?«

»Und du nimmst an, wenn ich ihn nicht bezahlen kann, muß ich ihn wiederlieben.«

»Man nimmt das an.«

»Du bist mal modern heute.«

»Bitte sehr, ich kenne keine, die so modern wäre wie ich. Glaub doch nur nicht, beste Ute, daß ich weniger entschlossen ums Dasein kämpfen werde als du. Man wird mich heiraten: denk daran, was ich dir sage. Ah! niemand, der mich nicht heiratet, wird irgendwas von mir erlangen.«

»Von mir erlangt er auch das Heiraten nicht.«

»Wer dir Geld geben darf, der hat schon was erlangt.«

»Nochmals, Bella, du sprichst doch von Claude, und du weißt, daß er zwanzig ist, geradeso alt wie ich, und daß er schon Mätressen hat, und daß er eines Tages sehr reich sein wird, und daß er mein Freund ist. Nun paß einmal auf: er unterscheidet zwischen mir und seinen Mätressen. Von ihnen nimmt er, was sie geben können, zu mir kommt er mit höhern, feinern Bedürfnissen.«

»Und – bezahlt sie?«

»Unter Umständen. Wir könnten ja viel mehr Geld haben. Hast du noch nie bedacht, wie dumm es von uns ist, das viele Geld, das die Männer für Liebe ausgeben, alles an untergeordnete Geschöpfe weggehen zu lassen, an Mädchen aus dem Volk, die bloß durch ihre Gliedmaßen heraufkommen und dann mit ihren Automobilenuns überfahren. Wir könnten selber drinsitzen, sag ich mir oft. Das bißchen, was man dafür von uns verlangt – Gott, ich spreche nicht von mir, für mich gibt es nur die Kunst ... Aber ihr andern, warum tut ihr den jungen Leuten, euren Standesgenossen, eigentlich nicht den Gefallen?«

»Das geht doch nicht«, meinte Bella sanft. Aber Ute verliebte sich in ihren Einfall.

»Der junge Mensch wird euch den ehemaligen Dienstmädchen vorziehen, selbst wenn ihr weniger schön seid. Ihr steht doch geistig auf seinem Niveau, manchmal höher. Und das braucht er. Wir haben es doch nicht mit dem nervenstarken Knoten zu tun, der den Krieg von siebzig mitgemacht hat und mit seiner Mannesgewalt ein Frauchen beseligt, dem er Kinder abzuhalten und Lampen zu putzen gibt. Der von heute ist schwächer als wir, er weint nach einer Gefährtin – fällt es dir nicht auf, daß heute fast immer der Mann im Arm der Frau hängt –, nach einer Erlöserin aus seiner nihilistischen Einsamkeit.«

Bella schluckte eine gut durchgekaute Makrone hinunter.

»Nihilistische Einsamkeit, was ist das. Trinkst du keinen Tee?«

Ute trank und erklärte:

»Die Einsamkeit, in der er mit seinen vor Nervenschwäche welt-, staats- und menschenfeindlich gewordenen, auf das Nichts gerichteten Gedanken umherwankt.«

»Komisch«, bemerkte Bella und kaute. »So was kann uns nicht passieren.«

»Du siehst, wie leicht wir diesem schwachen Menschen sein Geld abnehmen könnten – seine letzte Kraft – ohne ihm was Erhebliches dafür hinzugeben.«

»Du bist – na, ich pfeif ja auch drauf, aber du bist schon entsetzlich unmoralisch.«

»Das ist mein Stolz.«

Bella nickte.

»Man muß es sein. Es liegt in der Luft und wird verlangt.«

»Nein, ichbin es«, sagte Ute.

Sie schwiegen. Dann bemerkte Ute:

»Die Teeblätter sind abscheulich trocken, ich habe sie vom Bäcker an der Ecke. Papa, der Lump, konnte mir kein Geld geben, und Claude muß Archibald bezahlen. Claude hat auch nicht immer was....