: Ulrike Schweikert
: Berlin Friedrichstraße: Tränenpalast Eine historische Familiensaga
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644002838
: Friedrichstraßensaga
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 560
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Di große Familiensaga von Bestsellerautorin Ulrike Schweikert geht weiter. Zwei Schwestern, eine geteilte Stadt und ein Geheimnis, das eine Familie zu zerreißen droht . Zusammen sind sie in Berlin aufgewachsen: die Freunde Robert, Johannes, Ilse und Ella. Bis der Krieg sie trennte. Nun herrscht Frieden, doch die Wunden sind tief. Auch der Bahnhof Friedrichstraße wurde teilweise zerstört. Eines ist zum Glück geblieben: Johannes' Kiosk, der Fixpunkt der Freunde, die längst zu einer Familie geworden sind. Vor allem für Roberts Tochter Lilli ist er immer wieder Zuflucht. Hier lernte sie ihre große Liebe Michael kennen - doch er verschwand von einem Tag auf den anderen aus ihrem Leben. Und nun muss Lilli ihre Zwillingsmädchen Anne und Cornelia allein großziehen. Dabei merkt sie, dass es vor allem die Frauen sind, die in diesen ersten Nachkriegsjahren fest zusammenhalten, um zu überleben. In einer zunehmend geteilten Stadt wird der Zusammenhalt wichtiger als je zuvor. Und ausgerechnet der Bahnhof Friedrichstraße mit dem angrenzenden Tränenpalast wird zum Symbol der deutsch-deutschen Trennung.

Ulrike Schweikert arbeitete nach einer Banklehre als Wertpapierhändlerin, studierte Geologie und Journalismus. Seit ihrem Romandebüt «Die Tochter des Salzsieders» ist sie eine der bekanntesten deutschen Autorinnen historischer Romane. Beide Bände ihrer Erfolgsreihe «Die Charité» standen in den Top 10 der Bestsellerliste und verkauften sich insgesamt über 200.000-mal. Zuletzt begeisterte die Verfilmung ihrer Jugendbuchserie «Die Erben der Nacht» zahlreiche Zuschauer.  

Prolog


Es war ein trüber Novembertag, seit fünf Jahren war Adolf Hitler Reichskanzler. Johannes stand vor den eben erst gelieferten Kisten, doch das Auspacken konnte er sich sparen. Schon wieder hatten sie mehrere Bündel Zeitungen unbrauchbar gemacht. Die letzten beiden Male hatten die rechten Rüpel Bier über die Zeitungen geschüttet, die auf dem Verkaufstresen ausgebreitet lagen, dieses Mal hatten sie sich etwas Neues überlegt. Johannes rümpfte die Nase. Dem Gestank nach zu urteilen, hatte jemand einen Eimer Jauche ausgekippt, und da Johannes nicht davon ausging, dass man die zufällig am Bahnhof Friedrichstraße mit sich rumtrug, musste er sich eingestehen, dass diese Anschläge auf ihn geplant waren. Vermutlich sollte er noch dankbar sein, dass sie ihn dieses Mal weder verprügelt noch den Kiosk angezündet hatten.

Johannes starrte auf die stinkende Bescherung zu seinen Füßen und überlegte, wie er diese am besten entsorgen könnte, ohne selber tagelang nach Schweinejauche zu stinken. Dann durchzuckte ihn ein zweiter Gedanke: Wo sollte er möglichst schnell neue Zeitungen herbekommen? Soweit er es überblicken konnte, war die Ausgabe derBerliner Morgenpost an diesem Tag verschmutzt sowie andere Zeitungen aus den jüdischen Verlagshäusern Ullstein und Mosse. Die Bündel aus dem rechten Verlagshaus Hugenberg, wo derBerliner Lokal-Anzeiger und dieTägliche Rundschau erschienen, waren nicht betroffen. Das passte, dennoch wunderte sich Johannes, dass die Schmutzfinken sich überhaupt die Mühe gemacht hatten, nachzusehen, was sie vernichteten. Wobei ihn der hingeschmierte Judenstern in Alarm versetzte.

Johannes seufzte tief. Zwar stand seit dem Brand vor einigen Jahren nicht mehr der NameJohannesRosenstein als Eigentümer auf dem Kioskschild, sondernLilli Wagenbach, trotzdem war er selbst nur allzu bekannt. Zudem – was scherte es die Rechten, dass bereits sein Vater sich zum Christentum bekannt hatte und auch er selbst getauft war? Für die Nationalsozialisten blieb er der Jude und musste unter ihrem Rassenwahn leiden. Wie lange sollte das noch so weitergehen? Und wo würde das enden?

Unbehagen breitete sich in ihm aus, als er an die Berichte dachte, die er in den vergangenen Tagen gelesen hatte: Tausende Juden wurden mit Sonderzügen an die polnische Grenze gebracht. Deportiert. Aus der Heimat vertrieben.

Ein ungutes Gefühl ergriff von ihm Besitz und breitete sich wie eine eiskalte Welle in ihm aus. Der Gedanke war ihm schon einige Male gekommen, und er hatte ihn stets rüde beiseitegeschoben: So schlimm würde es schon nicht werden. So schlimmdurfte es nicht werden. Doch heute ließen sich seine innersten Befürchtungen nicht mehr unterdrücken: Eswürde schrecklich werden, vermutlich schrecklicher, als es sich irgendeiner vorstellen konnte!

 

«Ich werde weggehen», sagte Johannes, als er am nächsten Abend am gediegenen Esszimmertisch in der großen Wohnung seines Freundes Robert Platz genommen hatte. «Aus Deutschland weggehen!»

Alle Augen richteten sich auf ihn. Fragend, verwundert, entsetzt. Robert, der Gastgeber, mit dem er schon zur Schule gegangen war und dann in den Großen Krieg, Roberts Tochter Lilli, die inzwischen zwölf Jahre alt war und das Gymnasium in Charlottenburg besuchte, und Johannes’ erfolgreiche ältere Schwester Ilse, deren Modeentwürfe bei den Reichen und Schönen Berlins noch gefragter waren als früher.

Lilli reagierte als Erste. Sie sprang von ihrem Stuhl auf, lief um den Tisch und schlang ihre Arme um Johannes. «Nein, Onkel Johannes, das darfst du nicht. Du wirst mich doch nicht alleine lassen.»

Johannes drückte einen Kuss auf ihr wie eine Kastanie glänzendes Haar und sah in ihre A