: Ulrike Schweikert
: Die Charité: Aufbruch und Entscheidung Historischer Roman
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644404243
: Die Charité-Reihe
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 544
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die Geschichte der Charité geht weiter. Nach dem Bestseller 'Hoffnung und Schicksal' erzählt Ulrike Schweikert ein weiteres spannendes Kapitel aus der Welt des berühmten Krankenhauses. Im Berlin der ausgehenden Kaiserzeit kämpfen zwei Frauen um ihr Glück und für die Rechte von Frauen. Rahel Hirsch ist eine der ersten Ärztinnen, die an der Charité praktizieren. Doch als Frau unter lauter männlichen Kollegen hat sie es nicht leicht. Von Gleichberechtigung ist man selbst in der sonst so fortschrittlichen Hauptstadt noch weit entfernt. Das erlebt auch die junge Arbeiterin Barbara täglich. Sie schuftet in der Wäscherei der Charité und muss immer wieder erfahren, was es bedeutet, wenn Männer Frauen als Besitz betrachten. Ungleicher könnten die beiden Frauen nicht sein, und doch werden sie zu Freundinnen. Während Rahel sich gegen Widerstände in der Charité durchsetzen muss und sich in den jungen Fliegerpionier Michael verliebt, schließt sich Barbara der Frauenbewegung an, kämpft für die Rechte der Arbeiterinnen und das Frauenwahlrecht. Doch dann bricht der 1. Weltkrieg aus und verändert nicht nur die Leben von Barbara und Rahel für immer ...

Ulrike Schweikert arbeitete nach einer Banklehre als Wertpapierhändlerin, studierte Geologie und Journalismus. Seit ihrem Romandebüt «Die Tochter des Salzsieders» ist sie eine der bekanntesten deutschen Autorinnen historischer Romane. Beide Bände ihrer Erfolgsreihe «Die Charité» standen in den Top 10 der Bestsellerliste und verkauften sich insgesamt über 200.000-mal. Zuletzt begeisterte die Verfilmung ihrer Jugendbuchserie «Die Erben der Nacht» zahlreiche Zuschauer.  

1. Buch


Aufbruch

Kapitel 11903


Fräulein Doktor

Die Landschaft rauschte am Fenster des Waggons vorbei. Wenn sie den Blick starr geradeaus richtete, lösten sich die Konturen in verschwommene grüne und gelbe Streifen auf. Der Herbst begann, die Blätter zu verfärben. Sie wirbelten im Wind so durcheinander wie die Gedanken in ihrem Kopf.

Sie war unterwegs nach Berlin, zu ihrer ersten Stelle als Ärztin! Sie konnte es noch immer nicht recht glauben. So viele Jahre, und nun sollte der Traum tatsächlich Wirklichkeit werden.

Dr. Rahel Hirsch.

Ihr Großvater, der berühmte Rabbiner Samson Raphael Hirsch, der 1888 im selben Jahr wie die letzten beiden Kaiser gestorben war, wäre heute sehr stolz auf sie, das wusste sie genau. Gelehrsamkeit war für ihn immer eine hohe Tugend gewesen – für Männerund für Frauen.

Ein Jahr nach seinem Tod hatte Rahel in Wiesbaden ihr Lehrerinnenexamen abgelegt, um an der von ihrem Großvater in Frankfurt am Main gegründeten und inzwischen von ihrem Vater geleiteten Höheren Töchterschule der Israelitischen Religionsgemeinschaft zu unterrichten.

Auch ihr Vater, Mendel Hirsch, war inzwischen tot. Er hatte die ersten beiden Jahre ihres Medizinstudiums noch miterlebt und Rahel in ihren ungewöhnlichen Plänen bestärkt. Ohne seine Unterstützung hätte sie nicht in Zürich studieren können. Zürich – noch vor wenigen Jahren bot die dortige Universität die einzige Möglichkeit für eine Frau, Ärztin zu werden. Inzwischen hatte der Bundesrat beschlossen, auch in Deutschland Frauen zum medizinischen Staatsexamen zuzulassen, doch die einzelnen Länder ließen sich Zeit, die Vorgabe umzusetzen. Allen voran Berlin, das seine Universitätstüren für Frauen noch immer nicht geöffnet hatte. Baden sowie Elsass-Lothringen waren als Erste bereit gewesen, dem Beschluss zu folgen. Rahel hatte deshalb in Straßburg ihr Medizinstudium fortgesetzt und mit der Dissertation erfolgreich abgeschlossen.

Sie löste ihren Blick von der vorbeifliegenden Landschaft, öffnete ihre Tasche und zog ein in weinrotes Leder gebundenes Büchlein hervor. Die letzten Eintragungen hatte sie vergangene Nacht in ihrer spartanischen Unterkunft geschrieben, ehe sie ihre Reise hatte fortsetzen können.

Mein Herz rast. Ich kann es in meinen Ohren pochen hören. Ich versuche, mir die Vorgänge in meinem Körper bildlich vorzustellen. Mein Herz zieht sich hektisch zusammen und pumpt, schneller als sonst, das Blut durch meine Adern. Doch woher rührt das Rauschen im Kopf? Kann ich den Fluss meines Blutes durch mein Gehirn hören?

Meine Gedanken wandern zurück nach Zürich und nach Straßburg, zu meinen Professoren, die mich so viel gelehrt haben, und zu den Studenten, denen ich im Anatomiesaal, beim Präparierkurs oder im Vorlesungssaal bei Operationen begegnet bin …

Der Zug hielt an, die Abteiltür öffnete sich, und ein junges Mädchen von vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahren erkundigte sich,