1. KAPITEL
Das Baby hörte nicht auf zu schreien. Luca Vieri lief verzweifelt in seinem Motelzimmer hin und her. Der Kleine war gefüttert, frisch gewickelt und hatte kein Fieber. Trotzdem schrie er wie am Spieß.
Luca drehte eine Runde durchs Zimmer, wofür er dank seiner Beinlänge und der fehlenden Größe des Raumes nicht lange brauchte. Er war geräumigere und luxuriösere Unterkünfte gewöhnt. Allerdings vermutete er, dass die atemberaubende Aussicht auf den Strand die meisten Motelgäste hinreichend entschädigte.
Ihm waren Zimmerkomfort und Aussicht egal. Er wünschte sich einfach nur, seinen Sohn beruhigen zu können.
„Luca, bist du noch da?“
Die Stimme am anderen Ende der Leitung riss ihn aus seinen Gedanken. Er hielt sich das andere Ohr zu und versuchte sich darauf zu konzentrieren, was sein Assistent ihm berichtete.
„Sì.“
Das Baby schrie weiter. Offenbar hatte sein Sohn eine kräftige Lunge.
Sein Sohn.
Er schloss die Augen, zwang sich aber, sie rasch wieder zu öffnen. Sobald er das Telefongespräch beendet hätte, würde er seine ganze Aufmerksamkeit wieder dem Baby widmen. Vielleicht hätte er einfach ins andere Zimmer gehen, die Tür schließen und sein Telefonat bei etwas niedrigerem Lärmpegel führen sollen. Aber er brachte es nicht über sich, den sieben Monate alten Benito auch nur ein paar Minuten allein zu lassen. Er wollte, dass sein Sohn ihm vertraute. Der Junge sollte begreifen, dass sein Vater immer für ihn da sein würde.
„Das ist alles kein Problem“, sagte er zu seinem Assistenten.
Der Anblick von Benitos rot geweintem Gesicht schnitt ihm ins Herz. Bald würde der Kleine erschöpft einschlafen.
„Verschieb alles auf nächste Woche“, ordnete er an.
„Schon erledigt.“
„Gut.“
Als er sich dem Laufgitter näherte, schrie Benito nur umso lauter, sodass Luca sich verzweifelt zurückzog. Er wollte seinen Sohn so gern trösten, aber sie kannten sich erst seit zwei Tagen. Für das Kind war er ein Fremder. Der Kleine vertraute ihm nicht, hatte immer noch Angst vor ihm. Er gestattete Luca nur, ihn zu füttern, wenn er es vor Hunger nicht mehr aushielt, und er schlief nur auf seinem Arm ein, wenn er völlig erschöpft war. Benito war vor einer Weile aufgewacht und hatte zugelassen, dass Luca ihm sein Mittagessen gab. Aber jetzt schlug er jedes Mal die Wasserflasche weg, wenn Luca sie ihm reichte. Er drehte den Kopf weg, wenn sein Vater ihm den Schnuller geben wollte, und wenn er ihn hochhob, strampelte er wild, um sich zu befreien.
Luca wollte seinem Sohn so gern helfen, aber gegen Trauer gab es kein sofort wirksames Heilmittel. Benito vermisste seine Mutter. Er trauerte um die Frau, an die er sich irgendwann nicht mehr erinnern würde.
Luca schluckte. Auch er haderte mit seinem Schicksal.
„Luca?“
Die Stimme seines Assistenten holte ihn in die Gegenwart zurück.
„Sorry, Piero. Was meine Mutter betrifft … sag ihr, dass ich sie anrufe, sobald ich wieder in Rom bin.“
„Alles klar.“
Luca machte sich im Geiste eine Notiz, seinem Assistenten ein großzügiges Weihnachtsgeld auszuzahlen. „Ich weiß, es ist viel verlangt. Ich werde ihr selbst auch eine Nachricht schicken, aber ich fürchte, sie wird dich trotzdem weiter nerven.“
„M