: Peter Zantingh
: Zwischen uns und morgen
: Diogenes
: 9783257614848
: Tapir
: 1
: CHF 27.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Hals über Kopf reist Robin, ein junger Vater, seiner Frau hinterher. Was muss er ihr so dringend sagen? Während der Zug durch das überschwemmte Ahrtal gleitet, blickt er zurück auf seine Entscheidungen. Wie vertretbar ist es, ein Kind in diese Welt zu bringen, in der eine Naturkatastrophe die nächste jagt? Ein zarter und kluger Roman über eine der großen Fragen unserer Zeit.

Peter Zantingh, geboren 1983 in Heerhugowaard in der niederländischen Provinz Nordholland, studierte Wirtschaft und Digitale Kommunikation und arbeitet für die Wochenendausgabe des ?NRC Handelsblad?. Sein Romanerstling ?Een uur en achttien minuten? war für diverse Literaturpreise nominiert, bei Diogenes erschien 2020 sein Roman ?Nach Mattias?. Peter Zantingh lebt mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Tochter in Utrecht.

Während wir Arnheim wieder verlassen, steht Mats mit weiß-grünen Klettverschlussschuhen auf dem gegenüberliegenden Platz, er drückt seine runde, weiche Nase am Fenster platt und haucht auf die Scheibe. Obwohl es mir lieber wäre, er täte das nicht, weil sich auf dem Zugfenster mit Sicherheit allerlei Bakterien tummeln, bin ich plötzlich maßlos glücklich, denn da ist mein Sohn, sein Leben hat vor etwas mehr als zwei Jahren begonnen, und es ist genau so, wie es ist.

Es hätte genauso gut nicht passieren können. Als Tess und ich zum ersten Mal im selben Raum waren, bekamen wir das beide nicht mit. Erst später, als Paar, kamen wir zu dem Schluss, dass sie2008 die letzten Stunden des Jahres bei mir zu Hause gewesen sein musste. Ich bewohnte mit zwei Kommilitonen eine Wohnung am Smaragdplein, in einer Nachkriegsbaute ohne Zentralheizung. Einer meiner Mitbewohner zählte Tess zu seinem Freundeskreis und hatte sie eingeladen, neben ungefähr zehn anderen, die wiederum Bekannte mitbrachten. Mein Beitrag beschränkte sich auf drei meiner besten Freunde, Jungs, die ich schon seit der weiterführenden Schule kannte und mit denen ich damals ein monatliches Pubquiz organisierte. Insgesamt waren es viel zu viele Leute für unser kleines Wohnzimmer.

In den folgenden Jahren kam der Silvesterabend oft zur Sprache. Er wurde zu einer Anekdote, die man anderen erzählte oder immer mal wieder einander, und dann fing vor allem sie von den Momenten an, in denen das Leben versuche, einem unter der Ladentheke eine andere Version zu verkaufen, einem aufzeige, wie es auch laufen könnte. Allerdings müsse man gut aufpassen, da man genauso gut blind dafür sein könne. Ich hatte damals neben dem tickenden Gasofen auf der breiten Fensterbank gesessen, neben einem meiner Jugendfreunde und dem tragbaren Lautsprecher, der M83Saturdays = Youth abspielte, es war das Jahr, in dem uns das Album die Welt des Ambient-Genres eröffnete, und es war der Abend, an dem wir Pläne für ein groß angelegtes Popquiz schmiedeten, ich würde mir die Fragen ausdenken, und er würde moderieren. Wir vergaßen alles um uns herum, wozu eben auch sie gehörte, die auf dem beigen Zweisitzer von Ikea saß. Um zwölf Uhr wünschte jeder jedem ein frohes neues Jahr, und jeder küsste jeden, sie mich also auch und ich sie, so muss es gewesen sein. Danach radelte sie weiter zu einer anderen Party und ich nicht.

Ich hole zwei Pässe aus dem Innenfach des Rucksacks. Der nächste Halt ist in Deutschland. Es ist unwahrscheinlich, dass sie jemand sehen will, aber ich bin lieber vorbereitet. Ich öffne das neueste, am wenigsten abgenutzte Büchlein und betrachte das Foto.

Er existiert. Er ist hier.

Weil wir uns noch mal begegnet sind, Tess und ich, ein paar Wochen nach dem Jahreswechsel. Es war der17.