: Lukas Bärfuss
: Die Krume Brot 'Fesselnd, ergreifend und voll gesellschaftlichem Zündstoff.' 3Sat Kulturzeit
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644014879
: 1
: CHF 17.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 224
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Adelina, Tochter italienischer Einwanderer, arbeitet in einer Zürcher Fabrik, als sie nach kurzem Liebesglück mit einem Kind allein dasteht. Sie verliert die Stelle, die Wohnung, kämpft ums Überleben. In der größten Not lernt sie Emil kennen, einen erfolgreichen Grafiker, der ihre Schulden bezahlt und Adelina mit der kleinen Emma bei sich aufnimmt. Außer an der Liebe fehlt es an nichts. Emil kauft ein Anwesen in den Bergen des Piemont und scheint auf gemeinsames Glück zu hoffen. Aber dann verschwindet das Kind, spurlos. Adelina macht sich auf die Suche, begleitet von einem schweigsamen Unbekannten. Er bringt sie nach Mailand, in eine Kommune, zu Menschen, die an die Revolution glauben und Adelina versprechen, die verlorene Tochter zu finden; sie muss nur bereit sein, sich dem Kampf anzuschließen, und mit ihren Schweizer Papieren über die Grenze gehen, auf eine gefährliche Mission.

Lukas Bärfuss, geboren 1971 in Thun, ist Dramatiker, Romancier und streitbarer Publizist. Seine Stücke werden weltweit gespielt, die Romane sind in zwanzig Sprachen übersetzt. Lukas Bärfuss ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und lebt in Zürich. Für seine Werke wurde er u.a. mit dem Berliner Literaturpreis, dem Schweizer Buchpreis und dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.

Niemand weiß, wo Adelinas Unglück seinen Anfang nahm, aber vielleicht begann es lange vor ihrer Geburt, fünfundvierzig Jahre vorher, um genau zu sein, an der Universität in Graz. Dort hatte ihr Großvater, ein Mann namens Angelo Mazzerini, während seines Studiums der Rechtswissenschaften die verbotenen Schriften von Cesare Battisti gelesen, und von da an verehrte er die Karstlandschaft Istriens als heiligen Boden, hasste er das Imperium, den österreichischen Kaiser und seine Henker. Für den Studenten aus Triest fand jede Frage ihre Antwort in der Geschichte, und mit Barzini sah er seine Heimatstadt als Bollwerk der römischen Zivilisation. Ohne den Abwehrkampf an der Adria hätten die Slawen längst das Abendland überrannt. Die Habsburger, deren Untertan er war, stützten diese Horden mit ihrem Geld, ihren Waffen und ihren Gerichten. Italiener wie er, Abkömmlinge eines Weltreichs, hatten im Himmel einen Verbündeten, auf Erden standen sie seit fünfzehnhundert Jahren alleine im Kampf gegen die Vernichtung. Ungeheure Mächte hatten sich verschworen, um die Latinität auszurotten, wie es in Dalmatien geschehen war, und wenn viele in Triest ihn für verrückt hielten, dann nur, weil sie sich von Wien hatten kaufen lassen.

Als Italien im Mai 1915 Österreich den Krieg erklärte, befand sich Angelo auf Urlaub in seiner Heimatstadt, und nach einer schlaflosen Nacht, in der er sich betend an Fortunatus wandte, den Patriarchen von Grado, der sich im achten Jahrhundert ebenfalls gegen ein Imperium, gegen Byzanz, gestellt hatte, zerriss er den Einberufungsbefehl des Kaisers und verließ im Morgengrauen, ohne von seinen Eltern Abschied zu nehmen, die Wohnung an der Via dell’Istria.

Über Udine, Padua, Ferrara und Bologna kam er bis nach Rom. Dort schloss er sich als Freiwilliger den Granatieri di Sardegna an und wurde nach einer dreiwöchigen Ausbildung an die Front bei Monfalcone verlegt. Beim Sturm auf die österreichischen Stellungen erlitt er eine Beinverletzung, und die Monate darauf, bis zu seiner Genesung, saß er als Leutnant der Territorialmiliz in den Bergen bei Garda ab, bevor man Angelo in ein Regiment versetzte, das im Mai 1916 auf der Hochebene bei Asiago fast vollständig aufgerieben wurde. Mit einer Tapferkeitsmedaille in Gold nahm er unter dem Herzog von Aosta an der Schlacht von Caporetto teil und kehrte nach dem Waffenstillstand von Villa Giusti im November 1918 in seine Heimatstadt zurück.

Mutter und Vater waren an der Cholera gestorben. Angelo, alleine in der elterlichen Wohnung, fand sich in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Doppelmonarchie im Leben nur schwer zurecht. In seinen Träumen begegnete er den sterbenden Kameraden, und sonntags, wenn seine Seele an der frischen Seeluft Linderung suchte, sah er ihre Gespenster mit ausgerissenen Augen und zerfetzten Beinstümpfen über die Mole kriechen. Er trank, rauchte und zermarterte sich das Gehirn, etwa, was er über Rossetti denken sollte, ob der geniale Ingenieur eher Bewunderung verdiente, da er mit einem Torpedoboot das Flaggschiff der Österreicher, die Viribus Unitis, im Hafen versenkt hatte, oder ob er ihn als Patriot verachten musste, weil er zu den Republikanern, den Verrätern am Vaterland, übergelaufen war.

Zu seinem Glück hörte Angelo an einem Donnerstag Ende Dezember im Hof der alten Kaserne einen ehemaligen Scharfschützen aus dem Bersaglieri-Regiment über Oberdan und die nationale Frage der Italiener in Venetien dozieren. Ein herrlicher Redner, dessen Worte die Herzen fanden, und als er von der religiösen Erbauung auf dem Schlachtfeld sprach, das neue Geschlecht beschwor, erstanden im heiligen Lärm der Artillerie, eine Elite, berei