: Massum Faryar
: Buskaschi oder Der Teppich meiner Mutter Roman
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462309270
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 656
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Schicksal einer Familie aus Afghanistan - ein orientalisches Epos von Liebe, Macht, Glauben und Poesie Am Anfang steht eine Reise in die Vergangenheit: Schaer, der während der sowjetischen Besatzung aus Afghanistan fliehen musste, kehrt im Jahr 2008 zurück, um seine alte und kranke Mutter Khurschid in Herat zu besuchen. Er will ihre Erinnerungen vor dem Vergessen bewahren. Nach und nach fördert er ihre Geschichte zutage, die ganz eng mit der Geschichte des Landes verwoben ist, und gibt alles, um ihren letzten Wunsch zu erfüllen. Der üppige und kostbare Teppich seiner Mutter dient ihm dabei als Erinnerungsstütze. In seiner Mitte zeigt er den afghanischen Nationalsport Buskaschi, einen Reiterwettkampf um eine tote Ziege, und liefert damit das Leitmotiv für die Geschichte des Landes. Ähnlich opulent entfaltet sich die Geschichte von Khurschid und Scharif, die durch die Wirren des Landes führt, das sich von der britischen Besatzungsmacht befreien und eigenständig werden will, aber in einen Strudel aus Stammesfehden und Rivalitäten der Großmächte gerät - und zu einem Ausgangspunkt des Islamismus wird. Scharif, Sohn eines Bauern, Koranschüler und Lehrjunge eines Gemüsehändlers, erobert das Herz von Khurschid und wird zu einem einflussreichen Geschäftsmann - und er verliert seinen Traum, zum Buskaschi-Helden zu werden, nicht aus den Augen. Der Buskaschi-Kampf im Jahr 1960 wird zu einem Wendepunkt in seinem Leben. Massum Faryar erzählt eine große Familiensaga mit einer bildreichen, farbenprächtigen Sprache, packenden Dialogen und tiefem Verständnis für die Wechselfälle der Geschichte.

Massum Faryar, gebürtiger Afghane, kam in den 80er-Jahren nach Deutschland. Er studierte in München Germanistik und Politikwissenschaft und promovierte in diesen Fächern an der Freien Universität Berlin. Für seine Arbeit an »Buskaschi« erhielt er das Alfred-Döblin-Stipendium. »Buskaschi oder Der Teppich meiner Mutter« ist sein erster Roman

Erstes BuchErinnerungen an den Garten Eden


1


WIE JEDEN FREITAG legte meine Mutter noch vor dem Frühstück das Badezeug in eine Tasche, zog ihren Tschador über den Kopf und sagte: »Los!« Wie jeden Freitag verkroch ich mich unter meine Decke und rief: »Ich will nicht mit dir zu den Frauen! Ich will mit meinem Vater zu den Männern!«

Meine Weigerung, Mutter in das Frauenbad zu folgen, war zwar gespielt und lebte von der Gewissheit, gleich erneut gerufen zu werden: »Nein, du kommst mit mir!« – aber es dort auszuhalten, war wirklich nicht leicht. Im Frauenhamam war es immer ohrenbetäubend laut. Es wurde viel geredet und geschrien. Kinder weinten in allen Ecken. Unzählige Stimmen hallten durch die große, heiße Badehalle.

An diesem Freitag jedoch sollte dieser Ort, mit dem ich bisher nur Pein und den Verlust meiner männlichen Würde verbunden hatte, eine gänzlich neue Bedeutung in meinem jungen Leben bekommen. Wenn es ein Kindheitserlebnis gibt, an das ich seither besonders gern zurückdenke, so ist es dieses. Wann immer ich in meiner Pubertät allein auf der Dachterrasse unseres Hauses lag, schloss ich die Augen und erlebte alles noch einmal:

Ich stand vor einer der besetzten Badekabinen, deren Innenräume allein durch die davorgehängten Badetücher der Frauen verborgen wurden, und wartete, dass sie frei würde. Da rutschte das feuchte Badetuch herunter, sodass die Kabine ihr Geheimnis preisgab. Eine Frau saß auf dem gekachelten Vorsprung unter dem Hahn, aus dem spärlich Wasser floss, und seifte ihre Oberschenkel ein. Ihre langen schwarzen Haare bedeckten die Hälfte ihres Gesichtes sowie ihre großen, schweren Brüste. Niemals zuvor hatte ich eine vollkommen unbekleidete Frau, eine solch außergewöhnlich wohlgeformte Gestalt gesehen. Unfähig, mich zu regen, starrte ich sie an. Sie hob den Kopf, schien mich erkannt zu haben und lächelte. Es war die schöne Ehefrau des Mühlenbetreibers. Sie fragte mich, ob auch ich mich waschen wolle. Nichts außer einem schüchternen Nicken fiel mir zu erwidern ein.

»Dann komm herein!«

Bevor mich jemand sehen konnte, betrat ich die Kabine und setzte mich neben sie auf den Absatz. Sie erhob sich und hängte das hinabgefallene Tuch wieder auf. »Soll ich dich einseifen?«

Wiederum nickte ich.

Mit der linken Hand hielt sie meine Schulter fest, mit der rechten führte sie die Seife über meinen Rücken, dann über meine Brust, durch meine Haare, über mein Gesicht, während ich ihre harmonisch schwingenden Brüste anstarrte, deren Spitzen mich an die der Granatäpfel im Garten unseres Hauses erinnerten. Und ich liebte Granatäpfel.

»Schließ die Augen, sonst werden sie brennen«, befahl sie und öffnete den Hahn. Lauwarmes Wasser lief über meinen Kopf. Sie hockte vor mir, seifte meine Füße ein, meine Knie und Oberschenkel, und durch meine halb zugekniffenen Augen erhielt ich Einblick in ihre tiefsten Geheimnisse. Ich nahm die Felsen ihrer Schultern wahr, über die sich ihre Haarlocken wie schwarze Schlangen wanden. Ihr schmaler, langer Hals, dessen pulsierende Adern sich in der Dämmerung ihrer Brust verloren, gelangte in den Fokus meines Blickes und erschien mir wie ein eigenartiges Musikinstrument. Ich fühlte mich von jener diabolischen Gestalt verführt, die mein Vater häufig nach dem Aufsteh