: Renate Feyl
: Ausharren im Paradies
: Verlag Kiepenheuer& Witsch GmbH
: 9783462309348
: 1
: CHF 10.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 480
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Was zunächst als heiteres Familienbild beginnt, entpuppt sich als ein Lehrstück von der Deformation, aber auch von der Würde des Menschen unter dem Druck einer Diktatur. Feyl, Meisterin der doppelbödigen Idylle, erzählt die Geschichte des Slawistik-Dozenten Kogler, der als Sudetendeutscher 1951 mit seiner Familie von der Tschechoslowakai in die DDR übersiedelt. Er stürzt sich voller Elan in den vermeintlichen Fortschritt im Osten. Doch bald schon bemächtigt sich die staatliche Kontrolle der Gefühle und Gedanken. Hinter Anpassungsversuchen wächst Widerstand, der schließlich offen wird - Kogler verliert seinen Job.

Renate Feyl, geboren in Prag, studierte Philosophie und lebt als freie Schriftstellerin in Berlin. Von ihr erschienen bei Kiepenheuer& Witsch »Idylle mit Professor« (1988), »Ausharren im Paradies« (1992), »Die profanen Stunden des Glücks« (1996), »Das sanfte Joch der Vortrefflichkeit« (1999), »Streuverlust« (2004), »Aussicht auf bleibende Helle« (2006) und »Lichter setzen über grellem Grund« (2011).

I


Daß ihr das alles einmal passieren könnte, hätte sie sich nie vorstellen können.

Immer war sie aktiv gewesen, besaß das, was man im allgemeinen eine positive Lebenseinstellung nennt, war voller Tatendrang und Unternehmungsgeist, war diejenige, die die Fäden in der Hand behielt und alles um sich herum zu ordnen verstand. Es gab nur weniges, was ihr unerfüllt blieb. Sie hatte einen klugen Mann geheiratet, hatte ein Kind geboren, eine Wohnung eingerichtet, eine Abhandlung über die prästabilierte Harmonie geschrieben, liebte ihren Beruf und war in Fachkreisen anerkannt. Sie hatte auf Symposien gesprochen und auf Versammlungen das Wort ergriffen, hatte Kritik geübt und immer wieder auf die Notwendigkeit von Veränderungen hingewiesen, hatte ihre Möglichkeiten und Freiräume genutzt, um die Dinge voranzubringen, und nun war das Unfaßbare geschehen.

Beim Entlassungsgespräch mußte sie wohl so entsetzt geschaut haben, daß Professor Kramms nichts Besseres einfiel, als ihr ein paar rührend-naive Trostworte mit auf den Weg zu geben: Nun sehen Sie mal Ihre Zukunft nicht so düster, schließlich haben Sie in Ihrem Mann und Ihrer Tochter doch eine schöne Lebensaufgabe.

Daß ausgerechnet Kramms sich zu einem so bemerkenswert intelligenten Rat verstieg, wunderte sie nicht, sondern vervollkommnete bloß das Menschenbild, das sie von den einst führenden Staatsdenkern besaß. Doch die Gewißheit, noch immer diesen hoffnungslosen Traditionalisten ausgeliefert zu sein, die wacker ihre Positionen besetzt hielten, verbesserte ihre Lage nicht. Wer saß, der saß; der war noch dabei und konnte auf das Geschehen Einfluß nehmen. Wer aber draußen war, stand vor verschlossener Tür und mußte lange anklopfen, bis er wieder die Chance erhielt, eintreten zu dürfen.

In den ersten Tagen sah alles noch harmlos aus, denn sie fühlte sich so, als hätte sie vorübergehend das Gastspiel einer deutschen Hausfrau zu geben. Sie räumte und putzte, hängte die Graphiken um, klopfte die Bücher aus und fand, es sei höchste Zeit, daß alles einmal gründlich vom Staub der zurückliegenden Jahre befreit wurde. Auch das Einkaufen rückte in das Zentrum ihrer Gedanken, zumal seit der Währungsunion der Mangel verschwunden und die Fülle in die Kaufhallen eingezogen war. Sie entfaltete einen bisher nicht gekannten Ehrgeiz, in den Geschäften Preise zu vergleichen, um die für sie finanziell günstigste Einkaufsquelle zu erschließen. Aber auch die hatte sie mit ihrem gewohnten Geschick rasch herausgefunden, hatte alle Dienstleistungen erkundet, die den Alltag erleichterten, hatte alles im Überblick, so daß sie ihr Gastspiel am liebsten augenblicks beendet hätte. Doch plötzlich wurde ihr bewußt: Sie war nicht Hausfrau, sie war arbeitslos.

Nie hätte sie gedacht, daß sich die Akademie, diese Ding-werdung allen Fortschritts, jemals auflösen könnte. Sie wußte zwar, daß die Größe ihres Institutes im umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Gewicht seiner Leistung stand. Dennoch fragte sie sich im stillen, weshalb die Entlassung ausgerechnet sie traf und nicht die Herren Abteilungs- und Bereichsleiter, nicht den ehemaligen Parteisekretär und nicht den Direktor, der sich mit un