: Sofia Caspari
: Die kleine Pension am Meer Roman
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783732578177
: 1
: CHF 8.10
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 368
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Jule braucht dringend Abstand vom Alltag und beschließt, mit ihrem Sohn Johan auf die Insel Krk zu reisen. Jule ist alleinerziehend; ihr Sohn hat über seinen Vater Ivan kroatische Wurzeln. Als sie im Internet nach einer Unterkunft sucht, entdeckt sie eine zauberhafte Pension - und erkennt überrascht, dass diese Ivans Eltern gehört. Mit klopfenden Herzen bricht sie nach Krk auf, um Ivans Familie zu treffen, die nichts von Johan weiß. Und dann kommt alles ganz anders als erwartet ...



Sofia Caspari, geboren 1972, reist leidenschaftlich gerne. Sie hat mehrere große Reisen nach Mittel- und Südamerika unternommen, wo auch ein Teil ihrer Verwandtschaft lebt. Längere Zeit verbrachte sie in Argentinien, dessen Menschen, Landschaften und Geschichte sie tief beeindruckt haben. Nach Stationen in Irland und Frankreich lebt sie mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Söhnen in einem Dorf im Nahetal. Im Urlaub zieht es ihre Familie regelmäßig ans Meer, sei es Mittelmeer, Pazifik, Atlantik oder Nordsee. In ihren Romanen bricht sie stets mit ihren Figuren in fremde Länder und zu neuen Ufern auf. Zurzeit arbeitet sie an ihrem nächsten Roman.

Durch das Rauschen des Wassers hindurch hörte Jule das schrille Kreischen ihres Kindes. Fast kam es ihr so vor, als habe sich ihr Körper bereits schmerzhaft angespannt, noch bevor der kleine Johan zu schreien begann. So wie jede Nacht, wenn sie die ersten leichten Bewegungen des drei Monate alten Säuglings in seinem Bettchen neben ihrem wahrnahm, gefolgt von dem leisen Quäken, das jedem Gebrüll vorausging.

Jules Herz hämmerte schneller, während sie aus der Duschkabine sprang und sich fluchend den Bademantel über den klatschnassen Körper streifte. Keine Zeit, sich abzutrocknen. Sie zog die Kapuze über das triefende Haar und wischte sich rasch mit einem Ärmel über das Gesicht. Im Flur glitt sie auf dem Laminat aus, konnte sich aber gerade noch auf den Beinen halten. Als sie die Schlafzimmertür aufriss, erblickte sie schon von der Tür aus Johans rudernde Ärmchen.

Das Baby hatte das Mulltuch zur Seite gestrampelt, mit dem Jule es ganz leicht gepuckt hatte, damit er sich nicht selbst wach zappelte. Vergebens. Sein Mund war viereckig, und er schrie so laut und schrill, dass es die Nachbarn ganz sicher hörten. Sie beugte sich über sein Bettchen, die Anspannung raubte ihr für einen Moment den Atem. Jede Bewegung tat ihr inzwischen weh, fast so, als ob ihr das Schreien ihres Kindes körperliche Schmerzen verursachte. Niemand hatte ihr gesagt, wie laut so ein kleines Kind schreien konnte. Der Lärm eines Düsenjets war nichts dagegen.

War dieses Geschrei überhaupt normal? Jule wollte, dass es aufhörte. Sie hielt das nicht mehr aus.

Drei Monate Johan.

Drei Monate Liebe.

Drei Monate … Sie konnte nicht sagen, was. Drei Monate, in denen sich ihr Leben von Grund auf geändert hatte: Ivan und sie waren jetzt Eltern.

»Johan«, rief sie, »Johan.«

Als könnte ich ihn damit beruhigen.

Im Gegenteil. Er ruderte. Er schrie. Sein Körper vibrierte, jeder Muskel schien angespannt. Wahrscheinlich hörte er sie gar nicht.

Jule beugte sich tiefer über ihr Kind. Zu rasch, denn der Schmerz schoss jetzt über ihren verspannten Nacken hinauf in den Kopf und ließ die Kopfhaut unangenehm kribbeln.

Kopfschmerzen, bloß nicht.

Jule zwang sich, ihren Sohn anzulächeln – er sollte doch sehen, dass alles in Ordnung war –, schob eine Hand unter seinen schmalen Babyrücken, hob ihn hoch und drückte ihn an sich. Johans Körper war angespannt, aber er wandte sich ihr nun zu. Sein Kopf wackelte auf ihr Dekolleté zu. Jules Gedanken begannen zu kreisen:Hätte ich das Duschen nicht besser auf morgen verschoben? Wenn ich schneller oder zumindest früher geduscht hätte, wäre das nicht passiert.

Aber sie hatte ja erst die Nachricht einer Freundin beantworten müssen.

Behutsam lagerte sie Johan gegen ihre Schulter, der, wenn auch leiser, immer noch schrie.

War es eigentlich schlecht, wenn er aufwachte und ein paar Minuten für sich allein weinte? Jule hatte dazu unterschiedliche Meinungen gehört. Manche waren überzeugt, dass