: Helen Abele
: Das Haus hinter dem Maulbeerbaum
: Blanvalet
: 9783641144401
: 1
: CHF 11.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 480
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein malerisches Haus in den Hügeln des Veneto hütet ein düsteres Geheimnis ...
Architektin Agnes erhält den Auftrag, die Ca'More, ein altes Haus in den Hügeln des Veneto, in Apartments umzuplanen. Während der Arbeit entdeckt sie alte Radierplatten des verstorbenen Vorbesitzers, eines exzentrischen Malers. Die verstaubte Druckerpresse bringt surreale Bilder zutage, die sich wie ein Puzzle zu einer unglaublichen Geschichte zusammensetzen. Immer tiefer verstrickt sich Agnes in die Vergangenheit des Hauses - und in ihre eigenen Gefühle. Denn sie hat sich nicht nur in das Anwesen verliebt, sondern auch in den undurchsichtigen Gärtner Matteo ...

Die Münchnerin Helen Abele, geboren 1968, hatte schon als kleines Mädchen ein Faible für alte Häuser und fand, dass es schlimmere Fächer als Geschichte gibt. Trotzdem studierte sie nicht Geschichte, sondern Architektur. Nach ihrem Abschluss blieb sie dem Zeichenstift treu und arbeitet seitdem als Illustratorin, Kinder- und Jugendbuchautorin. Bei einem Malkurs im italienischen Veneto entdeckte sie hinter einem Maulbeerbaum ein verwunschenes Bauernhaus, und die Idee für ihren ersten Frauenroman war geboren.

2

Tarcento, Friaul. April 1925

Die pfauchende Schmalspurbahn zuckelte gemächlich durch Wiesen voller Klee und durch Felder, auf denen die frischen Maispflanzen gerade die ersten zartgrünen Spitzen aus der Erde streckten. Sie hielt ächzend bei jedem Bahnhöfchen und wartete geduldig, bis manche der Fahrgäste aus- und dafür andere Reisende eingestiegen waren. Elisa kam es trotzdem vor, als würde die alte Dampflok rasend schnell durch die hügelige Landschaft fahren. Wie aufregend das alles war! Heute würde ihr neues Leben beginnen, und sie wusste gar nicht recht, ob sie Angst haben oder sich freuen sollte.

Sie drückte sich fest an die Nonna, den Kopf an ihren kräftigen Oberarm gelehnt, und linste abwechselnd durch das Fenster und auf ihre Reisegefährtinnen. Ihnen gegenüber im Abteil saßen seit Fagagna zwei Bäuerinnen mit großen Körben, die mit unzähligen Salamis und Käselaiben gefüllt waren. Aus einer Pappschachtel zu ihren Füßen unter der Sitzbank hörte Elisa das Scharren und Fiepen von zarten Stimmchen. Es waren zwei Dutzend Küken. Die beiden Frauen hatten sie ihr gezeigt, gleich nachdem sie zugestiegen waren, und sie hatte mit den Fingerspitzen über die flaumigen gelben Bällchen streicheln dürfen, bevor der Deckel über ihnen geschlossen worden war. Schweigend hatten die Reisenden die nächsten Kilometer zurückgelegt, eine jede in Gedanken versunken. Doch nun suchte die ältere der beiden Frauen, jene, die Elisa an den geschnitzten Nussknacker von ihrem Zio Gigi erinnerte, mit der Nonna das Gespräch.

»Fahrt Ihr auch auf den Markt nach Udine?«

Die Nonna seufzte tief, bevor sie antwortete.

»Schön wär’s. Aber nein, ich bringe meine Enkelin zu meiner Base. Dort wird sie als Magd in den Dienst gehen.«

»Sie ist doch höchstens elf! Auch wenn die Zeiten hart sind, das ist zu jung«, sagte Frau Nussknacker, schüttelte den Kopf und klappte noch ein paarmal den Mund auf und zu.

»Ich werde bald zwölf und kann gut arbeiten«, wandte Elisa ein, denn sie wusste, dass die Großmutter wie die fremde Frau dachte, und sie wollte nicht, dass jemand noch mehr in ihrem Schmerz herumbohrte.

Die Nonna streichelte ihr über den Kopf.

»Ist mein Mädchen nicht tapfer?«, fragte sie in die Runde, und Elisa hörte ihrer Stimme an, dass sich ihre Augen wieder mit Tränen gefüllt hatten. »Wird schon gut gehen«, setzte die Nonna nach, so wie sie es in den letzten Wochen, seitdem der Brief von Signora Visentin gekommen war, bestimmt ein Dutzend Mal am Tag gesagt hatte.

Die andere Frau, die mit der Igelnase, sagte: »Ein so schönes Kind wird gut behandelt werden, da müsst Ihr euch doch keine Sorgen machen.«

»Jesus, Maria und Josef. Euer Wort in Gottes Ohr«, flüsterte die Nonna und bekreuzigte sich hastig.

Und Elisa fragte sich, ob die Großmutter die freundlich gemeinten Worte der mitreisenden Frauen wirklich als Beruhigung empfand.

Am späten Nachmittag, nachdem sie in Udine umgestiegen und dann am Bahnhof von Sacile von einem Fuhrwerk, das die Signora g