: Lucinda Riley
: Der Lavendelgarten Roman
: Goldmann
: 9783641099565
: 1
: CHF 9.70
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 528
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Herrenhaus in der Provence, eine adelige Familie und eine schicksalhafte Liebe in dunklen Zeiten.
Jahrelang hat Emilie de la Martinières darum gekämpft, sich eine Existenz jenseits ihrer aristokratischen Herkunft aufzubauen. Doch als ihre glamouröse, unnahbare Mutter Valérie stirbt, lastet das Erbe der Familie allein auf Emilies Schultern. Sie kehrt zurück an den Ort ihrer Kindheit, ein herrschaftliches Château in der Provence. Der Zufall spielt ihr eine Gedichtsammlung in die Hände, verfasst von ihrer Tante Sophia, deren Leben von einem düsteren Geheimnis umschattet war - einer tragischen Liebesgeschichte, die das Schicksal der de la Martinières für immer bestimmen sollte. Doch schließlich erkennt Emilie, dass es noch nicht zu spät ist, die Tür zu einer anderen Zukunft aufzustoßen ...

Lucinda Riley wurde in Irland geboren und verbrachte als Kind mehrere Jahre in Fernost. Sie liebte es zu reisen und war nach wie vor den Orten ihrer Kindheit sehr verbunden. Nach einer Karriere als Theater- und Fernsehschauspielerin konzentrierte sich Lucinda Riley ganz auf das Schreiben - und das mit sensationellem Erfolg: Seit ihrem gefeierten Roman »Das Orchideenhaus« stand jedes ihrer Bücher an der Spitze der internationalen Bestsellerlisten, allein die Romane der »Sieben-Schwestern«-Serie wurden weltweit bisher 30 Millionen Mal verkauft. Lucinda Riley lebte mit ihrem Mann und ihren vier Kindern im englischen Norfolk und in West Cork, Irland. Sie verstarb im Juni 2021.

1

Gassin, Südfrankreich, Frühjahr 1998

Als Emilie spürte, wie der Druck auf ihre Hand nachließ, sah sie ihre Mutter an. Mit Valéries Seele schien auch der Schmerz zu verschwinden, der ihre Züge verzerrt hatte, und Emilie konnte hinter dem ausgezehrten Gesicht die frühere Schönheit ihrer Mutter erkennen.

»Sie hat uns verlassen«, murmelte Philippe, der Arzt.

»Ja.«

Er sprach leise ein Gebet. Emilie kam nicht auf die Idee einzustimmen, sondern betrachtete in morbider Faszination die schlaffe, fahle Haut der Frau, die ihr Leben dreißig Jahre lang beherrscht hatte. Fast wollte Emilie ihre Mutter aufwecken, da sie den Übergang vom Leben zum Tod angesichts der Naturgewalt, die Valérie de la Martinières gewesen war, noch nicht fassen konnte.

Obwohl sie diesen Moment in den vergangenen Wochen oft genug durchgespielt hatte, wusste sie nicht so genau, was sie empfinden sollte. Emilie wandte sich von ihrer toten Mutter ab und schaute hinaus zu den Wolken, die wie Meringues am blauen Himmel hingen. Durch das offene Fenster hörte sie den Gesang einer Lerche, der vom Frühling kündete.

Sie streckte ihre von den langen Nachtwachen steifen Beine, erhob sich und trat ans Fenster. Der frühe Morgen ließ nichts von der Schwere erahnen, die die folgenden Stunden mit sich bringen würden. Die Natur hatte ein frisches Bild gemalt wie bei jeder Morgendämmerung; die weichen provenzalischen Umbra-, Grün- und Azurtöne leiteten sanft den neuen Tag ein. Emilie blickte über die Terrasse und den französischen Garten zu den Weinbergen hinüber, die sich erstreckten, so weit das Auge reichte, ein phantastischer Ausblick, seit Jahrhunderten unverändert. Das Château de la Martinières war in ihrer Kindheit eine Zuflucht für sie gewesen, ein Ort des Friedens und der Sicherheit; seine Ruhe hatte sich unauslöschlich in ihr Gehirn eingebrannt.

Und nun gehörte es ihr – doch ob nach den finanziellen Exzessen ihrer Mutter noch etwas übrig war, um es zu halten, wusste Emilie nicht.

»Mademoiselle Emilie, ich lasse Sie jetzt allein, damit Sie Abschied nehmen können«, riss die Stimme des Arztes sie aus ihren Gedanken. »Ich gehe nach unten, um das Formular auszufüllen. Es tut mir sehr leid«, fügte er hinzu, verbeugte sich kurz und verließ den Raum.

Tut es mir leid …?

Ungebeten schoss der Gedanke Emilie durch den Kopf. Sie kehrte zu ihrem Stuhl zurück, setzte sich und versuchte, Antworten auf die zahlreichen Fragen zu finden, die der Tod ihrer Mutter aufwarf. Sie hätte sich eine klare Lösung gewünscht, gern ihre Emotionen verglichen und gegeneinander aufgerechnet, um zu einem eindeutigen Gefühl zu gelangen, doch das war natürlich nicht möglich. Die Frau, die jetzt so harmlos dalag, hatte sie zu Lebzeiten so oft verunsichert und würde in ihr immer unangenehm widersprüchliche Emotionen erzeugen.

Valérie hatte ihrer Tochter das Leben geschenkt, sie genährt und gekleidet und Emilie ein Dach über dem Kopf gegeben. Sie hatte sie nie geschlagen oder gescholten.

Sie hatte sie einfach nicht wahrgenommen.

Valérie war – Emilie suchte nach dem passenden Wort –desinteressiert gewesen. Was sie als ihre Tochter unsichtbar machte.

Emilie legte ihre Hand auf die ihrer Mutter.

»Du hast mich nicht gesehen, Maman