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Unter staunenden Blicken der kleinen Jungs vollführte Daisy eine Pirouette, so glanzvoll wie jede berühmte Filmschauspielerin im kleinen Vorstadtkino. Das Mädchen, das auf dem Vorleger mit der Flickenpuppe spielte, schniefte nur abschätzig und nahm keine Notiz von ihr. Daisy würde sie ihrerseits ignorieren. Diese eingebildete kleine Göre.Vanessa! Wer hatte für ein Mädchen aus dem Elendsviertel je einen solchen Namen gehört? Kein Wunder, dass sie Allüren hatte und sich für etwas Besseres hielt.
»Also, was meint ihr?«, fragte Daisy ihren kleinen Bruder und die zwei kleinen Jungs, die evakuiert worden waren und bei ihnen wohnten. »Wie würde es euch gefallen, vonSchwester Daisy Caldwell in eurem Krankenhausbett gepflegt zu werden?«
»Du bist doch noch keine richtige Krankenschwester«, gab Norman, der ältere der zwei Brüder, mürrisch zurück. »Du bist bloß ein Mädchen, das sich mit einer schicken Uniform herausgeputzt hat. Nicht wie unser Dad. Unsere Mum sagt, er hat jetzt eine richtige Uniform …«
Vanessa johlte. »Dein Dad ist schon vor Jahren abgehauen und hat deine Mum sitzen lassen, Dummerchen. Die einzige Uniform, die er jetzt trägt, hat wahrscheinlich Streifen, wie die der Knackis in meinem Beano-Comic.«
Daisy sah sie wütend an, während der jüngere der Brüder heulte: »Unser Dad sitzt nicht im Knast! Der fliegt eins von diesen Bombenflugzeugen und tötet Jerrys! Das macht er. Nessa Brown, du bist eine blöde Gans!«
»Ach ja? Erzähl das den Feen, du Spatzenhirn. Und nenn mich nichtNessa! Ich wette, dein Dad hat keinen einz’gen Deutschen bekommen, sondern verrottet in irgendeinem grässlichen Gefängnis. Und dann stirbt der wahrscheinlich an Schwindsucht«, fügte sie hinzu, um noch mehr Eindruck zu schinden.
»Halt den Mund, Vanessa«, fuhr Daisy sie an. »Du weißt nicht, was du da redest.«
»Und ob ich das weiß, du neunmalkluge Scheinschwester«, gab das Mädchen triumphierend zurück. »Meine alte Oma ist dran gestorben, deshalb.«
Daisys ganze Freude an ihrem neuen Lernschwesternkleid verflog schlagartig. Sie versuchte sich daran zu erinnern, dass dieses nervtötende Mädchen nicht wissen konnte, dass Daisys beste Freundin an Schwindsucht litt – oder an TB, wie es von denen genannt wurde, die auf dem Laufenden waren, dachte sie mit einem kurzen Anflug von Überlegenheit – und dass ihre Prognose schlecht war. Sehr schlecht sogar. Nachdem es zu Anfang der Krankheit so ausgesehen hatte, als würde Lucy bald genesen, waren ihre Überlebenschancen nun so gut wie nicht existent. Sie tendierten gen null.
Das war alles so ungerecht. Warum musste Lucy sterben? Womit hatte sie das verdient? Alle wussten, dass die Deutschen sich in halb Europa austobten und jetzt Menschen töteten, seit dieser aufgeblasene Mr Chamberlain vor sechs Monaten sein Ultimatum gestellt und sie in einen Krieg mit Deutschland gestürzt hatte.
»Politiker«, schnaubte Tante Rose stets verächtlich, da sie für sie als Gattung nichts übrighatte. »Mischen sich immer in das Leben der Menschen ein und vermasseln es meist.«
Aber das hier war etwas anderes. Das mit Lucy war etwas anderes. Sie war kein anonymes Gesicht, das Daisy nicht kannte. Sie gehörte nicht zu den verwundeten Soldaten, die jetzt ins Weston General gebracht wurden und aufgeräumt beteuerten, wie gern sie Daisys hübsches Gesicht sahen – obwohl einige aus Augen, die ihnen weggeschossen o