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Emergency Room im Realitätscheck:
verliebt, verlobt, verheiratet und schwups, im Kreißsaal
Warum lernen wir in der Schule eigentlich so wenig fürs echte Leben? Mein romantisches Geburtswissen hatte ich überwiegend aus Fernsehserien bezogen. Ganz ehrlich: Drehbuchautoren sollten besser recherchieren. Zum Beispiel bei mir …
»Und wie ist das so mit der Geburt?«, hatte ich meine Mutter einige Wochen zuvor gefragt, als der Stichtag näher rückte. »Wie war es bei dir damals, als ich zur Welt kam?« Ich wog bei einer Größe von knapp eins sechzig fast achtzig Kilo, quälte mich schnaufend durch den Tag, wälzte mich wie ein Wal auf dem Trockenen unruhig durch die schlaflosen Nächte und dachte nur noch an eines: die Geburt! Ich freute mich wahnsinnig auf mein Baby, hatte aber gleichzeitig großen Respekt vor dem Ungewissen.
»Ach, Kind«, antwortete meine Mutter und streichelte mir mit entrücktem Blick über den Bauch. »Wenn du dein Baby erst im Arm hältst, ist das alles vergessen.« Weiter ging sie einfach nicht auf die Frage ein. Damals dachte ich noch, sie hätte aus Scham so geantwortet.
Ähnlich erging es mir auch bei Tante Lotti. Und Oma Ruth erinnerte sich aufgrund fortschreitender Demenz gar nicht, überhaupt einmal Kinder bekommen zu haben.
Wen wundert es also, dass ich mein Geburtswissen überwiegend aus Fernsehserien bezog?Emergency Room und Co. weckten große Erwartungen. Ich hatte Frauen gesehen, die sich auf Taxi-Rückbänken vor Schmerzen krümmten, während die Fahrer, rote Ampeln ignorierend, durch die Stadt rasten, um das Leben von Mutter und Kind zu retten. Heute glaube ich, dass ihre Angst weniger Mutter und Baby galt als einem Abgang des Fruchtwassers auf den Velourssitzen. Aber damals war ich noch voller Illusionen. Natürlich war ich deshalb auch kurz beleidigt, als Theo, mein erster Mann, aus Kostengründen darauf bestand, in unserem Wagen zu fahren, statt ein Taxi zu rufen. Auch verwirrte mich, dass außer mir niemand aufgeregt zu sein schien. Mit den Worten »Du kannst dich schon mal anmelden, ich park das Auto außerhalb des Geländes« setzte Theo mich einfach vor dem Kreißsaal ab.
Ich liebte Theo für seine klare Struktur, seine vernünftigen Ideen, den kühlen, klaren Kopf, seine Vernunft. Er war der Fels in der Brandung meines oft so turbulenten Lebens. Und es gab keinen Mann, von dem ich in diesem Moment lieber ein Kind bekommen hätte. Und ich hatte auch nicht erwartet, dass Theo meine zarten achtzig Kilo in den Kreißsaal trug, aber dass er mich einfach ganz allein vor der Tür absetzte, um einen günstigeren Parkplatz zu suchen, hat in unserer Ehe nachhaltige Spuren hinterlassen. Auch die erwartete Ärzteschar mit im Laufschritt wehenden weißen Kitteln blieb komplett aus. Einzig Schwester Hilde traf ich auf dem leeren Flur.
»Erstes Kind?« Sie musterte mich streng durch dicke Brillengläser, und sofort schämte ich mich zuzugeben, noch keiner kleinen Fußballmannschaft das Leben geschenkt zu haben. »Dann ist ja Zeit«, stellte Hilde energisch fest und schickte mich, gänzlich unbeeindruckt von meinen immer heftiger werdenden Wehen, in den Warteraum.
»Ahhhhrg! Verflixt, verflucht, verdammte, verfi… Sch…!« Es drangen Worte aus meinem Mund, von deren Existenz in meinem Wortschatz ich bis zu diesem Tag gar nichts gewusst hatte. Aber wenn die Wehen im Minutentakt kommen und man gerade das Gefühl hat, dass es einem den Unterleib zerreißt, kann man schon mal die Contenance verlieren. Ich schnaufte, stöhnte, fluchte und hörte mich selbst fremdartige Laute von mir geben, die ich bislang ähnlich nur aus Tierdokumentationen kannte. Ich weinte und wimmerte, hielt mich verzweifelt an Theo fest, um ihm im nächsten Moment zu verbieten, mich a