: Cay Rademacher
: Stille Sainte-Victoire Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc
: DuMont Buchverlag
: 9783832182823
: Capitaine Roger Blanc ermittelt
: 1
: CHF 11.50
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 384
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der April in der Provence ist warm, sonnig, grün - und mörderisch. Capitaine Roger Blanc steht vor einem auf bizarre Weise getöteten Mann, ausgerechnet im Schatten der Sainte-Victoire, dem Berg, den Cézanne auf vielen Gemälden verewigt hat. Das Opfer: Roland Dallest, ein Bauingenieur aus Lyon, der die Statik eines Staudamms untersuchte, ein gewissenhafter, friedliebender Mann, der erst seit drei Wochen im Midi arbeitete. Für seinen Tod scheint zunächst niemand ein Motiv zu haben. Aber Blanc findet rasch heraus, dass dessen Zwillingsbruder Christian ganz in der Nähe zu tun hat: ein berühmter Paläontologe, der seit Jahren Dinosaurierknochen an der Sainte-Victoire entdeckt. Ein schrecklicher Irrtum des Täters? Wollte der Mörder eigentlich den bekannten Wissenschaftler töten und verwechselte diesen mit dem zufällig anwesenden Zwillingsbruder? Nach und nach stößt Blanc auf Geheimnisse rund um den Staudamm - und auf die Geheimnisse der Paläontologen, die sich einen gnadenlosen Wettkampf um Fossilien, Geld und Ruhm liefern. Und schon bald sehen er und seine Kollegen Marius und Fabienne mehr Verdächtige, als ihnen lieb ist ... Mord in der Provence - Capitaine Roger Blanc ermittelt: Band 1: Mörderischer Mistral Band 2: Tödliche Camargue Band 3: Brennender Midi Band 4: Gefährliche Côte Bleue Band 5: Dunkles Arles Band 6: Verhängnisvolles Calès Band 7: Verlorenes Vernègues Band 8: Schweigendes Les Baux Band 9: Geheimnisvolle Garrigue Band 10: Stille Sainte-Victoire Alle Bände sind eigenständige Fälle und können unabhängig voneinander gelesen werden.

CAY RADEMACHER, geboren 1965, schreibt in mehrere Sprachen übersetzte Kriminalromane, etwa die>Trümmermörder<-Trilogie aus dem Hamburg der Nachkriegszeit oder die Provence-Serie um Capitaine Roger Blanc. Außerdem erschienen>Ein letzter Sommer in Méjean< (2019),>Stille Nacht in der Provence< (2020) und>Die Passage nach Maskat< (2022) sowie das historische Sachbuch>Drei Tage im September< (2023). Cay Rademacher lebt mit seiner Familie bei Salon-de-Provence.

Indiana Jones

Zwillingsbruder … Während Blanc mit Fabienne und Marius auf dem Wanderweg, den Samia Zerfaoui ihnen beschrieben hatte, durch den Wald ging, spukte das Wort in seinem Geist: Zwillingsbruder, Zwillingsbruder, Zwillingsbruder.

»Alles in Ordnung mit dir?« Er hörte Fabiennes Stimme wie aus weiter Ferne. Sie blickte ihn besorgt an.

Blanc nahm sich zusammen. »Ja. Ich habe nur … nachgedacht.«

Fabienne sah einen Moment lang so aus, als wollte sie darauf etwas erwidern, unterließ es dann aber.

»Ich will ja keine vorschnellen Schlüsse ziehen«, brummte Marius, »aber ich habe das dumme Gefühl, dass der Fall teuflisch kompliziert ist.«

»Komplizierte Sachen sind nichts für Männer. Zum Glück habt ihr mich«, erwiderte Fabienne.

»Gib es uns!«, rief Blanc, etwas zu bemüht locker. Er wollte das Gespräch in diesen Bahnen halten, dienstlichen Bahnen gewissermaßen, bloß jetzt nichts Privates.

Sie nickte nachdenklich. »Beide Zwillingsbrüder arbeiten unterhalb der Sainte-Victoire, nur ein paar Minuten Fußmarsch voneinander entfernt. Sie sehen sich so ähnlich, dass man sie kaum unterscheiden kann.Voilà, daraus ergeben sich zwei Aufgaben für uns. Aufgabe eins: Wir suchen selbstverständlich den Mörder von Roland Dallest. Aufgabe zwei: Möglicherweise hat der Mörder die Brüder verwechselt und wollte eigentlich Christian Dallest umbringen. Wir müssen also auch den potenziellen Mörder von Christian Dallest suchen, obwohl der Mann noch lebt. Klingt kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach. Wir müssen in zwei Richtungen ermitteln.«

»Marius hat recht«, warnte sie Blanc. »Keine vorschnellen Schlüsse. Wir haben Christian Dallest noch nicht einmal gesehen.«

»Geht es dir wirklich gut?«, fragte Fabienne. »Du bist ein bisschen blass um die Nase.«

»Ich fühle mich ausgezeichnet«, log Blanc. Zwillingsbruder. Er zwang sich, nicht mehr an dieses verdammte Wort zu denken, und deutete nach vorne. »Wir sind da.«

Sie gelangten auf ein höher gelegenes Plateau, das einen oder zwei Kilometer von dem Platz entfernt war, an dem Roland Dallest den Tod gefunden hatte. Rötliches und hellgraues Geröll bedeckte den Boden, es wuchsen nur wenige Bäume, die Sträucher waren niedriger. Alles hier war trockener als an dem Ort, der doch nur einige Minuten Fußmarsch hinter ihnen lag. Hier zwitscherten keine Vögel; vielleicht klang deshalb das Summen der Bienen besonders laut, die wie winzige Derwische um den blühenden Rosmarin tanzten. Auch schien der Wind hier stärker zu sein, manchmal wirbelte er kleine Staubfahnen auf. Selbst die Sainte-Victoire wirkte aus dieser Perspektive anders, niedriger, langgestreckter, nicht länger eine Pyramide, dachte Blanc, sondern eine wild gezackte archaische Festungsmauer. Die Sonne stand nun tiefer im Westen und zeichnete Schattenbänder auf die Bergflanken, die dadurch dunkler und irgendwie schwerer wirkten. Die Sainte-Victoire war keine Verheißung mehr, keine Aufforderung zum Gipfelsturm, sondern eine Grenze: bis hierher und nicht weiter.

Sie sahen etwa zehn Frauen und Männer, die im Staub saßen oder knieten, manche hatten sich sogar lang hingestreckt. Sie bearbeiteten den Boden mit Spachteln, Kellen, Pinseln, kratzten, schabten, bliesen Staub fort, niemand achtete auf die Neuankömmlinge. Im Zentrum der Grabung arbeitete ein kniender Mann, der aussah, als wäre der Tote von unten auferstanden. Blanc hielt inne und beobachtete Christian Dallest: Seine Jeans war vielleicht etwas zerschlissener als die des Bruders, sein Hemd war blau statt grün kariert, er trug Trekking- statt Arbeitsschuhe, und die Haut auf seinen nackten Unterarmen war eine Spur tiefer sonnengebräunt. Doch derselbe Körper, dasselbe Gesicht, dieselben Haare, dieselbe Outdoorjacke und, vor allem, dieselbe auffällige Kopfbedeckung. Christian Dallest trug einen Indiana-Jones-Hut, er sah aus wie das Klischee eines abenteuersüchtigen Forschers, der in der Einöde uralten Schätzen nachjagte. Die Krempe warf einen Schatten, der seine Ohren verdeckte. Aus dieser Entfernung konnte Blanc unmöglich erkennen, ob er Hörgeräte trug oder nicht. Eine Verwechslung, dachte er spontan, es war wirklich wahnsinnig leicht, die beiden Brüder zu verwechseln.

Dallest sah auf, entdeckte Blanc und seine Kollegen und bedachte sie mit einem misstrauischen Blick, bevor er sich erhob und auf sie zukam. Er bewegte sich auf mühelos wirkende Art und Weise, wie ein gut trainierter Sportler. Die ander